BAG: Elternzeit darf beim Massenentlassungsschutz nicht zu Nachteilen führen

Beim europarechtlichen Vorgaben folgenden Massenentlassungsschutz nach § 17 KSchG dürfen Personen nicht deshalb benachteiligt werden, weil sie sich im Zeitpunkt der Massenentlassung in Elternzeit befunden haben. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden (ZIP 2016, 1793). Wie das Bundesarbeitsgericht ausführt, enthält der BVerfG-Beschluss vom 08.06.2016 eine nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs bei Massenentlassungen, an die das BAG gebunden ist (Urteil vom 26.01.2017, Az.: 6 AZR 442/16).

Rechtlicher Hintergrund

Massenentlassungen innerhalb von 30 Kalendertagen bedürfen nach Maßgabe von § 17 KSchG zu ihrer Wirksamkeit einer vorherigen ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats und einer vorherigen ordnungsgemäßen Anzeige an die Agentur für Arbeit. Dieser durch § 17 KSchG gewährleistete Schutz ist europarechtlich durch die Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie) determiniert. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (ZIP 2005, 230) ist unter "Entlassung" die Kündigungserklärung zu verstehen.

BAG erachtete Kündigung einer Mutter nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums für wirksam

Hiervon ausgehend hielt der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts die Kündigung gegenüber einer Arbeitnehmerin vom 10.03.2010 für wirksam, die sich zur Zeit der wegen einer Betriebsstilllegung durchgeführten Massenentlassung in Elternzeit befand und deren Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf des Zeitraums von 30 Kalendertagen gekündigt wurde, obwohl sich die Kündigungen der übrigen Arbeitsverhältnisse mangels einer ordnungsgemäßen Konsultation des Betriebsrats gemäß § 17 KSchG als unwirksam erwiesen hatten (NZI 2013, 758).

BVerfG hob BAG-Urteil wegen Diskriminierung auf

Das BVerfG hatte dieses Urteil aufgehoben, weil es die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 GG verletze. Die Klägerin werde unzulässig wegen der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit und wegen ihres Geschlechts benachteiligt, wenn ihr der Schutz vor Massenentlassungen versagt werde, weil das Abwarten der wegen der Elternzeit notwendigen behördlichen Zustimmung zur Kündigung dazu geführt habe, dass die Kündigung erst nach Ablauf des 30-Tage-Zeitraums erklärt wurde. In diesen Fällen gelte der 30-Tage-Zeitraum auch dann als gewahrt, wenn die Antragstellung auf Zustimmung der zuständigen Behörde zu der Kündigung innerhalb dieses Zeitraums erfolgt sei.

BAG erklärt Kündigung für unwirksam

An diese nationalrechtliche Erweiterung des Entlassungsbegriffs bei Massenentlassungen durch das Bundesverfassungsgericht sah sich das BAG ungeachtet der Probleme gebunden, die unter anderem dann entstehen, wenn die behördliche Zustimmung erst außerhalb der 90-tägigen Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG erteilt wird oder wenn bei einer Arbeitnehmerin in Elternzeit die Kündigung als solche zugleich Teil einer zweiten, § 17 KSchG unterfallenden Welle von Kündigungen ist. Der Sechste Senat habe deshalb nun auf die Revision der Klägerin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 10.03.2010 nicht aufgelöst worden ist.

BAG, Urteil vom 26.01.2017 - 6 AZR 442/16

Redaktion beck-aktuell, 26. Januar 2017.

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