BAG legt Frage zur Übermittlungspflicht bei Massenentlassungen dem EuGH vor
Lorem Ipsum
© pressmaster / stock.adobe.com

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens die Frage vorgelegt, welche Sanktion ein Verstoß gegen die Informationspflicht des Arbeitsgebers gegenüber der Agentur für Arbeit im Rahmen von anzeigepflichtigen Massenentlassungen nach sich zieht. Der klagende Mitarbeiter hatte sich gegenüber dem Insolvenzverwalter wegen der unterbliebenen Mitteilung auf die Unwirksamkeit seiner Kündigung  berufen.

Keine Mitteilung an Agentur für Arbeit nach Massenentlassung

Im Januar 2020 wurde die vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebs des Unternehmens - der späteren Insolvenzschuldnerin - beschlossen. In diesem Zusammenhang war die Entlassung aller zuletzt noch 195 beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beabsichtigt. Aufgrund des Stilllegungsbeschlusses fanden mit dem Betriebsrat Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans statt. In Verbindung mit dem Interessenausgleichsverfahren wurde auch das im Fall einer Massenentlassung erforderliche Konsultationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt. Entgegen § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen in nationales Recht umsetzt, wurde jedoch der zuständigen Agentur für Arbeit keine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden und an den Betriebsrat gerichteten Mitteilung gemäß § 17 Abs. 2 KSchG übermittelt. In der Folge wurde eine Massenentlassungsanzeige erstattet, deren Eingang die Agentur für Arbeit bestätigte. In diesem Zusammenhang erhielt auch der Kläger die Kündigung. Unmittelbar darauf beraumte die Agentur für Arbeit Beratungsgespräche für 153 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin an.

BAG legt Rechtsfrage dem EuGH vor

Mit seiner Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigung geltend gemacht. Bei der Übermittlungspflicht handele es sich nicht nur eine sanktionslose Nebenpflicht, sondern um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung. Die Übermittlungspflicht solle sicherstellen, dass die Agentur für Arbeit so früh wie möglich Kenntnis von den bevorstehenden Entlassungen erhalte, um ihre Vermittlungsbemühungen darauf einstellen zu können. Sie habe von daher arbeitnehmerschützenden Charakter. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Nunmehr hat der sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts die Frage dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt. Dieser soll klären, welchem Zweck die Übermittlungspflicht nach Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie dient. Hiervon hängt nach Auffassung des Senats ab, ob § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG, der unionsrechtskonform in gleicher Weise wie 2 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie auszulegen ist, ebenso wie andere, den Arbeitnehmerschutz zumindest auch bezweckende Vorschriften im Massenentlassungsverfahren als Verbotsgesetz gemäß § 134 BGB anzusehen ist. In diesem Fall wäre die Kündigung unwirksam.

BAG, Beschluss vom 27.01.2022 - 6 AZR 155/21 (A)

Redaktion beck-aktuell, 28. Januar 2022.