Verdächtige Krankschreibung nach Entlassung
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Arbeitgeber sind bei Krankschreibungen nicht automatisch an ein ärztliches Attest gebunden. Das BAG hat heute entschieden: Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert sein, wenn ein Arbeitnehmer nach seiner Entlassung Atteste vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen – jedenfalls wenn er direkt danach eine neue Stelle antritt.

Seit Anfang 2023 hat der "Gelbe Schein" weitgehend ausgedient: Wer krankgeschrieben wird, muss zwar dem Arbeitgeber schleunigst seine Verhinderung mitteilen. Doch dem wird das Attest nun auf Abruf elektronisch von der Krankenkasse übermittelt. Ausnahmen bleiben etwa für Privatpatienten. Doch welchen Beweiswert hat das Statement des ­Mediziners, wenn sich ein Beschäftigter sich nach einer Kündigung postwendend unpässlich meldet? Einen geringen, so vor zwei Jahren das BAG. Im aktuellen Fall war der Sachverhalt jedoch etwas anders: Ein Mitarbeiter hatte sich einen Atemwegs­infekt bescheinigen lassen und war erst danach (wenngleich fast zeitgleich) entlassen worden. Das fand das LAG Niedersachsen nicht verdächtig und gab dem Mann recht.

Am Tag drauf gesund im neuen Job

Doch vor den obersten Arbeitsrichtern ging der Kläger mit seiner Forderung nach Entgeltfortzahlung trotzdem weitgehend leer aus. Denn nach dem ersten Attest, das eine Woche lang galt und von ihnen auch anerkannt wurde, hatte er noch zwei weitere vorgelegt. Diese erstreckten sich auf die restlichen drei Wochen des Monats. Direkt am Tag darauf – einem Mittwoch – erschien er bei seinem neuen Arbeitgeber zum Dienst. Das war dem Bundesarbeitsgericht suspekt (BAG, Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23).

Ein Arbeitnehmer könne zwar eine von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten Bescheinigungen eines Arztes nachweisen, heißt es in einer Mitteilung der Erfurter Richter. Diese seien schließlich das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert könne der Arbeitgeber aber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände beweisen kann, die "nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln" geben. Worauf es dabei allerdings nicht ankommt: Bei Krankschreibungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, sei für die Glaubwürdigkeit nicht entscheidend, ob die Beendigung vom Beschäftigten oder vom Unternehmen ausgeht; ebenso wenig darauf, ob ein oder mehrere Atteste vorgelegt werden.

"Passgenaue Verlängerung"

Die erste Krankmeldung ließ der 5. Senat nach alldem durchgehen: Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung habe es nicht gegeben. Denn das Entlassungsschreiben sei dem Ex-Mitarbeiter erst am Folgetag zugegangen. Offenbar habe er auch vorher nichts davon erfahren, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats.

Anderes gilt dem Urteil zufolge für die restlichen beiden Atteste. Das LAG hätte berücksichtigen müssen, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten "passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit" und der Kündigungsfrist ein zeitlicher Zusammenhang bestand – und dass der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat. Daher treffe ihn für diesen Zeitraum die "volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit", wenn er hierfür sein Salär bekommen wolle (§ 3 Abs. 1 EFZG). Das müssen die Richter in der niedersächsischen Landeshauptstadt nunmehr klären.

BAG, Urteil vom 13.12.2023 - 5 AZR 137/23

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 13. Dezember 2023.