Anerkennung von Fahrtzeiten als Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung beschränkt
Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst tätig. Die Beklagte ist aufgrund ihrer Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden. Kraft dynamischer Bezugnahme im Arbeitsvertrag finden diese Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. In einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2001 (BV) ist zu § 8 geregelt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen, wenn sie 20 Minuten nicht überschreiten. Sofern An- und Abreise länger als jeweils 20 Minuten dauern, zählt die 20 Minuten übersteigende Fahrtzeit zur Arbeitszeit. In das für den Kläger geführte Arbeitszeitkonto hat die Beklagte Reisezeiten von dessen Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause bis zu einer Dauer von jeweils 20 Minuten nicht als Zeiten geleisteter Arbeit eingestellt. Sie leistete hierfür auch keine Vergütung.
Vorinstanzen wiesen Klage ab
Mit seiner Klage verlangte der Kläger, seinem Arbeitszeitkonto Fahrtzeiten für März bis August 2017 im Umfang von 68 Stunden und 40 Minuten gutzuschreiben, hilfsweise an ihn 1.219,58 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte beantragte Klageabweisung meinte, ein solcher Anspruch sei durch § 8 BV wirksam ausgeschlossen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Dagegen legte der Kläger Revision ein.
BAG: Tariflich geregelter Gegenstand betroffen
Die Revision hatte Erfolg. Mit den Fahrten von seiner Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück erfülle der Kläger seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung. Ein daraus resultierender Vergütungsanspruch werde durch § 8 BV nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung regele die Vergütung der Arbeitszeit, indem sie die An- und Abfahrtszeiten zum ersten beziehungsweise vom letzten Kunden – soweit sie 20 Minuten nicht übersteigen – von der Vergütungspflicht ausschließt. § 8 BV betreffe damit entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen tariflich geregelten Gegenstand.
Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag (MTV) seien sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Dazu gehöre bei Außendienstmitarbeitern die gesamte für An- und Abfahrten zum Kunden aufgewendete Fahrtzeit. Da der MTV keine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthält, sei § 8 BV wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, könnten nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sei nicht wegen des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Auf Grund der Bindung der Beklagten an die fachlich einschlägigen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen, welche die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regeln, bestehe insoweit schon nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
LAG muss erneut entscheiden
Der Kläger könne somit von der Beklagten die Gutschrift der umstrittenen Fahrtzeiten verlangen, soweit unter ihrer Berücksichtigung die vertraglich geschuldete regelmäßige Arbeitszeit überschritten worden sei. Ob dies der Fall sei, könne mangels hinreichender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht abschließend entschieden werden. Die Sache sei deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen. Die vom Berufungsgericht erörterte Frage der Betriebsvereinbarungsoffenheit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung stelle sich nicht, da die Betriebsparteien mit der Regelung zur Vergütung der Fahrtzeiten in der Betriebsvereinbarung die Binnenschranken der Betriebsverfassung nicht beachtet hätten und die Betriebsvereinbarung aus diesem Grunde insoweit unwirksam sei. In einem weiteren, dieselben Rechtsfragen betreffenden Verfahren hatte die Revision nach Angaben des BAG ebenfalls im Sinne einer Zurückverweisung weitgehend Erfolg.