Gehaltsunterschied von 1.000 Euro
Die klagende Angestellte war seit März 2017 als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Metall- und Elektroindustrieunternehmens beschäftigt, das neben ihr noch zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigte, einen davon seit Januar 2017. Diesem hatte die Firma zunächst ein Grundentgelt von 3.500 Euro brutto angeboten. Das entspricht dem Betrag, für den die spätere Klägerin den Job machte. Der Mann hingegen forderte 1.000 Euro monatlich mehr, die Arbeitgeberin zahlte ihm 4.500 Euro brutto. Er sei einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt, so die Begründung des Unternehmens. Die weibliche Angestellte fühlte sich aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und verlangte die Zahlung rückständiger Vergütung sowie eine Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000 Euro.
Das BAG gab ihr überwiegend Recht. Die Arbeitgeberin habe sie aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt und schulde ihr das gleiche Grundentgelt wie ihrem männlichen Kollegen (Art. 157 AEUV, §§ 3 Abs. 1 EntgTranspG, 7 EntgTranspG), so die Richter in Erfurt. Dass sie für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten habe als dieser, begründe die Vermutung nach § 22 AGG, dass sie wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden sei.
Schlechter bezahlt: Arbeitgeber muss Diskriminierungsvermutung widerlegen
Es wäre an der Arbeitgeberin gewesen, das zu widerlegen, und zwar nach den Maßstäben des Vollbeweises, stellt das BAG unter Rückgriff auf seine Rechtsprechung klar: "Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben […]. Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht“.
Drohender Personalengpass: pauschal kein Argument
Dem LAG hatte es ausgereicht, dass das Unternehmen das höhere Grundgehalt damit begründet hatte, es sei klar gewesen, dass die Vorgängerin zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhören würde, so dass bei nur drei Mitarbeitenden im Vertrieb unbedingt jemand eingestellt werden musste. Man sei darauf angewiesen gewesen, den männlichen Kollegen einzustellen, der eben die 1.000 Euro mehr gefordert hatte.
Was Arbeitgeber nachweisen müssten
Nach Ansicht des BAG ist das "nicht widerspruchsfrei": Zwar könne die Lage auf dem Arbeitsmarkt durchaus ein Argument sein, um die Benachteiligungsvermutung zu widerlegen. Dafür hätte das Unternehmen laut den Bundesrichtern aber darlegen und beweisen müssen, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich gewesen sei, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen. Die Arbeitgeberin hätte darlegen müssen, dass sie genau diese Stelle sonst nicht hätte besetzen können, dass es keine anderen, ebenso gut geeigneten Bewerber gab, die bereit gewesen wären, für die angebotenen 3.500 Euro zu arbeiten. In dem Unternehmen sei die Situation, als die spätere Klägerin eingestellt wurde, für das Unternehmen zudem personaltechnisch noch wesentlich problematischer gewesen als zum Zeitpunkt der Rekrutierung des männlichen Kollegen.
Besser verhandelt: kein Argument
Dass der eben besser verhandelt, also im Rahmen der Vertragsfreiheit das höhere Entgelt ausgehandelt habe, hält das BAG ebenfalls "für sich allein betrachtet nicht geeignet", um die Vermutung zu widerlegen, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegt. In einem solchen Fall werde nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Auch die Tatsache, dass die beklagte Arbeitgeberin auf die Forderung des männlichen Mitarbeiters eingegangen ist, also nicht proaktiv ein höheres Gehalt vorgeschlagen hat, reiche allein nicht aus, um die Vermutung zu widerlegen.
Auch keine Argumente: andere Vorteile, Gehalt des Vorgängers, bessere Leistungen
Eine frühere erfolgsabhängige Vergütung bei der Klägerin als bei ihrem Kollegen reiche ebenso wenig (zu intransparent). Auch eine Sonderurlaubsvereinbarung, die das Unternehmen der später klagenden Arbeitnehmerin bewilligt hatte, ändere nichts, so das BAG. Denn schließlich habe die Frau ja nicht gewusst, dass der Kollege mehr verdiene, und habe deshalb ihre Wünsche gar nicht entsprechend artikulieren können. Ob und wann andere vertragliche Ausgestaltungen in Arbeitsverträgen die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung widerlegen oder es Arbeitnehmern zumindest verbieten könnten, sich auf diese zu berufen, lässt das BAG ausdrücklich offen.
Das BAG prüft noch das höhere Gehalt der Vorgängerin des besser bezahlten Kollegen, und lehnt es zum Widerlegen der Vermutung ab. Schließlich könnten auch andere, in deren Person liegende Gründe gehabt haben. Auch angebliche bessere Leistungen des männlichen Kollegen seien kein Argument, denn von denen habe man ja zum Zeitpunkt der Gehaltsvereinbarung noch gar nichts gewusst.
Was argumentativ übrig bleibt
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die jetzt das Ende von Gehaltsverhandlungen fürchten, bleibt aber ein Hoffnungsschimmer: eine bessere Qualifikation. Ob nun wegen einer fachspezifischen Ausbildung oder wegen einschlägiger Berufserfahrung: Beide Gründe lässt das BAG auch für die Zukunft gelten, um eine Benachteiligungsvermutung wegen des Geschlechts zu widerlegen. Auch der EuGH erkenne an, "dass die Berufsausbildung in jeder Hinsicht einen Faktor darstellt, der eine unterschiedliche Vergütung der Arbeitnehmer, die die gleiche Arbeit verrichten, objektiv rechtfertigen kann". Für ebenso legitim halte es der EuGH, die Berufserfahrung zu honorieren, "weil sie Arbeitnehmer im Allgemeinen befähigt, ihre Arbeit besser zu verrichten". Das beklagte Unternehmen hatte dazu im Verfahren aber zu spät vorgetragen.