Digitalisierung am Arbeitsplatz: Wer will die Lohntüte zurück?
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Vor dem BAG geht es am Dienstag in zwei Fällen um die Digitalisierung der Arbeitswelt: Wann darf eine Lohnabrechnung ausschließlich digital verschickt werden? Und brauchen Gewerkschaften zur Mitgliederwerbung Zugang zum Mitarbeiter-Chat?

Zugegeben, die Zeiten, in denen Mitarbeitende am Zahltag ihre Lohntüte samt handschriftlicher Abrechnung in die Hand gedrückt bekamen, sind schon etwas länger vorüber. Doch wenn auch niemand die Lohntüte zurück ersehnt: Zwei Streitigkeiten vor dem BAG, die am morgigen Dienstag in Erfurt entschieden werden sollen, lassen erahnen, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt zuweilen mühsamer vorangeht als gedacht.

Im ersten Fall verklagt nämlich eine Verkäuferin in einem Lebensmittel-Discounter ihren Arbeitgeber, weil dieser ihr sämtliche Personaldokumente – unter anderem die Entgeltabrechnungen – ausschließlich elektronisch über ein digitales Mitarbeiterpostfach zukommen ließ (9 AZR 48/24). So sah es eine entsprechende Betriebsvereinbarung vor. Nachdem die Angestellte zuletzt im Februar 2022 auf Papier über ihre Entgeltberechnung informiert worden war, forderte sie das Unternehmen auf, dies künftig beizubehalten und weigerte sich, die elektronischen Abrechnungen zu akzeptieren. Schließlich habe sie dem neuen Verfahren nie zugestimmt.

"Zugang" über Mitarbeiterpostfach ausreichend?

Indes geht es in diesem Verfahren nicht um die Frage, ob Unternehmen ihren Angestellten die Lohnabrechnung auf digitalem Wege übermitteln dürfen. Das ist unstrittig, denn sie darf in Textform nach § 126b BGB erteilt werden. Hier geht es um die Frage, ob die Abrechnung auch dann zugegangen ist, wenn sie an ein Mitarbeiterpostfach gesendet wird. "Die Rechtsprechung hat bereits in der Vergangenheit entschieden, dass die Zusendung einer Lohnbescheinigung an den Arbeitnehmer per E-Mail ausreichend ist, selbst wenn er darin nicht eingewilligt hat", erklärt Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Gründungspartner von Fuhlrott Arbeitsrecht, gegenüber beck-aktuell. "Im vorliegenden Fall geht es um die Detailfrage, ob das auch gilt, wenn der Arbeitgeber auf einer Inter- oder Intranetplattform die Abrechnung zur Verfügung stellt."

Das LAG Niedersachsen gab der Arbeitnehmerin recht und befand, dass ihr mangels Zustimmung die Lohnabrechnungen über das Mitarbeiterpostfach nicht im Sinne des § 130 BGB "erteilt" würden. Schließlich habe sie nie erklärt, zum Empfang der Abrechnungen hierüber bereit zu sein. Die Arbeitsrichterinnen und -richter argumentierten, Beschäftigte müssten sich sonst unter Umständen eine Reihe von Postfächern zurechnen lassen, die man ihnen aufdrücke. Bei einem echten Briefkasten an der Heimatadresse und einem digitalen Mitarbeiterpostfach sei das noch zu bewerkstelligen, doch je mehr digitale Zugänge man im Auge behalten müsse, desto unübersichtlicher werde es. 

Der Discounter sieht es naturgemäß anders: Die elektronische Abrechnung sei der Mitarbeiterin durch die Cloud-gestützte Übermittlung in ihr Postfach zugegangen. Eine Zustimmung dazu sei nicht nötig, es gehe höchstens darum, ob ihr die elektronische Übermittlung zumutbar sei. Daran bestünden hier keine Zweifel, da sie schließlich selbst digital kommuniziert habe, als sie ihren Widerspruch zur Nutzung des Postfachs erklärt habe.

Auch wenn die Tage der Lohntüte vergangen sind, zeigt sich an diesem Fall doch, wie kompliziert die Abkehr von der Papierform im Arbeitsalltag sein kann. Anwalt Fuhlrott ist indes der Meinung, dass solche Streitigkeiten in absehbarer Zeit "aussterben" werden.

Gewerkschaft will Zugang zu interner Kommunikation

In einem zweiten Fall, den das BAG am Dienstag ebenfalls zu entscheiden hat, sind es keine Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, die klagen, sondern eine Gewerkschaft. Es geht darum, die neuen Kommunikationsstrukturen eines Betriebs nutzen zu dürfen, um Mitglieder anzuwerben (1 AZR 33/24). Konkret verklagt die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) den Sportartikelhersteller Adidas. Dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Unternehmenssitz in Herzogenaurach verbringen bis zu 40% ihrer Arbeitszeit im Homeoffice. Für die Kommunikation greifen sie auf das Microsoft-Programm Yammer zurück. Dieses ermöglicht unter anderem das Teilen und Bearbeiten von Dokumenten sowie sonstige dienstliche Kommunikation. Über das Programm haben alle Angestellten Zugriff auf Namen und berufliche E-Mail-Adressen der Kolleginnen und Kollegen.

Die IG BCE hatte von Adidas – zunächst noch zu Hochzeit der Corona-Pandemie – Zugang zum unternehmensinternen Netzwerk gefordert und war vor Gericht gezogen, nachdem sich das Unternehmen geweigert hatte. Zudem forderte sie, im Adidas-Intranet einen Link auf die Gewerkschafts-Website einzustellen. Hintergrund ist, dass die Gewerkschaft fürchtet, im digitalen Zeitalter die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über analoge Kanäle wie Aushänge am schwarzen Brett nicht mehr zu erreichen. Die zunehmende Digitalisierung erfordere auch ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften, argumentiert sie. Ein solches ergebe sich unmittelbar aus der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten koalitionsspezifischen Betätigungsfreiheit.

Adidas entgegnet, einen solchen Anspruch gebe es nicht. Auch kommunizierten die Beschäftigten in Herzogenaurach durchaus auch noch analog, denn der Betrieb sei weiterhin auf regelmäßige Präsenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angelegt. Darüber hinaus führte das Unternehmen auch datenschutzrechtliche Bedenken gegen die digitalen Zugangsrechte ins Feld, da die Gewerkschaft Zugriff auf Mitarbeiterdaten erhielte.

BAG könnte dem Gesetzgeber zuvorkommen

Dass sich die Gewerkschaft dabei auf das Grundgesetz beruft, sollte nicht überraschen, meint Michael Fuhlrott: "Die konkrete Ausgestaltung der Betätigungsfreiheit von Koalitionen ist gesetzlich nur sehr fragmentarisch geregelt." Aus diesem Grund drehten sich viele Fälle nach wie vor um die Auslegung der verfassungsrechtlichen Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft. Doch wie jedes Grundrecht steht auch dieses in einem Abwägungsverhältnis zu anderen Verfassungsrechtsgütern.

Im Fall, den nun das BAG zu entscheiden hat, sprechen für Fuhlrott die besseren Argumente gegen die Gewerkschaft. So habe der Gesetzeber im Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) ein digitales Zutrittsrecht zumindest in Teilen geregelt. Er habe das Thema also "auf dem Schirm", so Fuhlrott, im Betriebsverfassungsgesetz bestehe damit keine planwidrige Lücke, die es hier zu füllen gelte. Für das Zugangsrecht von Gewerkschaften hatte sich die Ampel-Regierung indes auch vorgenommen, eine Regelung zu schaffen, zu einem Gesetz kam es vor dem Ende der Koalition aber nicht mehr.

Und was ist dran an dem Argument, dass Gewerkschaftsrechte mit der Zeit gehen müssten und das Homeoffice heute in vielen Betrieben zum Alltag gehöre? "Sicherlich kann aufgrund neuer Unternehmens- und Betriebsstrukturen über eine Anpassung der bestehenden Regelungen diskutiert werden", meint Fuhlrott. "Aus meiner Sicht ist dies aber eine Entscheidung, die der Gesetzgeber oder noch besser die Koalitionspartner in Tarifverträgen regeln sollten." Nun obliegt es jedoch dem BAG, die Entscheidung zu treffen – jedenfalls vorerst. Die Vorinstanzen haben die Klage bislang abgewiesen.

Unabhängig von den beiden Verfahren ist klar: Die Arbeitswelt ist digitaler geworden und das Recht muss diese Entwicklung mitgehen, wenn es nicht zum Bremsklotz werden will. In dieser Hinsicht habe sich auch schon viel getan, meint Fuhlrott. Sehe man von wenigen Ausnahmen wie Befristungsabreden, Kündigungen und nachvertraglichem Wettbewerbsverbot ab, so sei heute fast überall die elektronische Form ausreichend. "Nicht zuletzt durch das gerade in Kraft getretene Bürokratieentlastungsgesetz IV hat der Gesetzgeber dies auch für das Arbeitsrecht nochmals unterstrichen." Wieviel Detailarbeit aber noch nötig ist, zeigen die beiden BAG-Fälle, die nun zur Entscheidung stehen.

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 27. Januar 2025.