Digitale Freelancer?
Das Internet hat zu Umbrüchen in der Arbeitswelt geführt, wie sich auch an Gesetzesinitiativen von Politikern und Forderungen der Tarifpartner zeigt. Das BAG hat sich am 01.12. einen dieser Knackpunkte vorgenommen: die rechtliche Situation von Crowdworkern. Das Urteil klärt erstmals grundsätzlich deren Status.
Aufträge per Handy-App
Geklagt hat ein Mann (Jahrgang 1967), der für ein "Crowdsourcing-Unternehmen" Aufträge von dessen Kunden abarbeitete. Der ungewöhnlich anmutende Job bestand etwa darin, Fotos von Produktregalen in Läden und an Tankstellen zu machen (teils mit Voranmeldung dort, teils stillschweigend als "Mystery Guest") oder Fragen zu einem Reklame-Poster an einer Bushaltestelle zu beantworten. Diese Aufträge - Microjobs genannt - erhielt er über eine App auf seinem Smartphone, das bei Einsätzen seinen Standort per GPS übermittelte. Die Bezahlung erfolgte digital via Paypal.
Unfreiwilliges Ende
Wichtig: Grundlage der Zusammenarbeit war eine "Basis-Vereinbarung". Ein bestimmtes Auftragsvolumen war darin nicht vereinbart. Der Crowdworker war auch nicht verpflichtet, bestimmte Aufträge zu übernehmen - er durfte selbst entscheiden, wie oft er welche angezeigt bekam und ob er sie ausführte. Mit den Kunden der Plattform sollte kein Vertragsverhältnis zustande kommen, auch durfte er eigene Mitarbeiter einsetzen und Unteraufträge erteilen. Im Schnitt sprangen dabei für etwa 20 Stunden Tätigkeit pro Woche monatlich rund 1.750 Euro für ihn heraus - neben Arbeiten für andere Auftraggeber. Nach gut einem Jahr und 2.978 Aufträgen wollte ihn das Unternehmen aber loswerden, als es nach einem "Bodenaufsteller-Check" zu Streitigkeiten gekommen war. Gegen den Rauswurf wehrt sich der Crowdworker seither. Er betrachtet sich trotz Gewerbeanmeldung nicht als Selbstständigen, sondern in Wirklichkeit als Arbeitnehmer mit unbefristetem Arbeitsverhältnis. Das ArbG und das LAG München sahen das anders: Der Mann sei weder weisungsabhängig noch in die betriebliche Organisation der Beklagten eingebunden gewesen.
Grundsätze klargestellt
Die Revision des Mannes hatte nun aber teilweise Erfolg. Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts befand, dass er im Zeitpunkt der (zunächst vorsorglichen) Kündigung in einem Arbeitsverhältnis bei dem Plattformbetreiber stand. Die Arbeitnehmereigenschaft hängt den Erfurter Richtern zufolge nach § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Zeige die tatsächliche Durchführung eines Vertragsverhältnisses, dass es sich hierbei um ein Arbeitsverhältnis handelt, komme es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an. Die dazu vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung aller Umstände kann demnach ergeben, dass Crowdworker als Arbeitnehmer anzusehen sind. "Für ein Arbeitsverhältnis spricht es, wenn der Auftraggeber die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann", schreibt das Gericht in seiner Pressemitteilung.
"Weisungsgebunden und fremdbestimmt"
So sei es auch hier gewesen: Der Kläger habe "in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit" geleistet. Zwar sei er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten verpflichtet gewesen. Die Organisationsstruktur sei aber darauf ausgerichtet gewesen, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. "Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level im Bewertungssystem ermöglicht es den Nutzern der Online-Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen." Durch dieses Anreizsystem habe man den Mann dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.
Ein Wermutstropfen
Allerdings kann er nicht ohne Weiteres eine Vergütung nach Maßgabe seiner bisher als vermeintlich freier Mitarbeiter bezogenen Honorare verlangen. Denn stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann dem Urteil zufolge in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Geschuldet sei vielmehr die übliche Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB. Die muss demnächst das Landesarbeitsgericht feststellen.
Politik will einschreiten
Das Thema bewegt auch die Politik: Gerade hat die Bundesregierung einen "Digitalgipfel" abgehalten. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nahm dort gestern auch die sogenannte Plattformökonomie in den Blick. Er will die "Gig Economy" gesetzlich einhegen und dabei vor allem die Solo-Selbstständigen schützen, die selbst keinerlei Angestellte haben und wohl nicht selten Scheinselbstständige sind. Dabei denkt er unter anderem an eine Pflicht zur Rentenversicherung für Freelancer, an einen Anspruch auf Krankengeld, Mutterschutz und Urlaub, ferner an Kündigungsfristen und - mit Blick auf den gestrigen Fall am BAG besonders interessant - eine erleichterte Möglichkeit, den eigenen Beschäftigungsstatus zu klären. Auch wenn viele Pizzaboten und Fahrradkuriere, aber auch Architekten, Designer und Programmierer solche flexiblen Jobs nur nebenher machen: Der Arbeitssoziologe Martin Krzywdzinski schätzte die Zahl der entsprechenden Hauptberufler gestern im Deutschlandfunk auf 100.000 bis 150.000 Personen.