Kein Test – kein Gehalt
Das Hygienekonzept der Staatsoper sah vor, dass alle Mitarbeiter in der Spielzeit 2020/21 bei Dienstantritt einen negativen PCR-Test vorlegen mussten – sonst durften sie nicht an Proben oder Aufführungen teilnehmen. Die Abstriche wurden von der Staatsoper organisiert und waren gratis. Alle ein bis drei Wochen wurden die Musiker sodann reihum stichprobenmäßig kontrolliert, was entweder im Haus kostenlos oder extern auf eigene Rechnung durchgeführt werden konnte. Da wollte die Flötistin nicht mitmachen, weshalb ihr das Gehalt gestrichen wurde. Zwei Monate später ließ sie sich dann doch ein Wattestäbchen in Nase oder Rachen schieben – mit positivem Ergebnis. Sofort nahm der Musentempel seine Zahlungen wieder auf. Doch für die Zeit davor verlangte die Künstlerin nun vor den Arbeitsgerichten ebenfalls Geld: Da es keine Rechtsgrundlage für anlasslose PCR-Tests gebe, habe sich ihr Arbeitgeber in Annahmeverzug befunden. Auch fürchtete sie Nasenbluten und Würgereize sowie ihren wirtschaftlichen "Ruin", weil sie durch das Verbot von Auftritten und Proben ohne vorherige Testteilnahme an Marktwert verliere.
Bühne extra umgebaut
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht München wiesen das Begehren der Flötistin ab. Die erste Instanz stellte dabei auf das Direktionsrecht des freistaatlichen Regiebetriebs (§ 106 GewO) ab, ferner auf dessen Fürsorgepflicht für die knapp 1.000 festen Mitarbeiter – darunter rund 140 Orchestermusiker – beim Gesundheits- und Infektionsschutz (§ 618 BGB in Verbindung mit § 3 I ArbschG). Der hatte zudem Umbauten vorgenommen, um den Abstand zwischen den Aufführenden zu vergrößern. Die Berufungsrichter sahen das ähnlich, zumal eine Flötistin keine Maske tragen könne und eine Querflöte Tröpfchen sowie Aerosole weiter verteile als andere Blasinstrumente. Überdies sei das Verlangen des Arbeitgebers vom Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) gedeckt – selbst bei Personen ohne Krankheitssymptome.
Fürsorgepflicht für "Dienstberechtigte"
Dem schloss sich das BAG nun an. Arbeitgeber seien verpflichtet, Arbeitsleistungen so zu regeln, dass die Arbeitnehmer soweit gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind, wie die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Das leiten die Erfurter Richter aus § 618 Abs. 1 BGB her. Dieser gibt "Dienstberechtigten" auf, "Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat", so einzurichten und zu unterhalten, "dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet". Dasselbe verlangt die Vorschrift in Bezug auf "Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind". Die obersten Arbeitsrichter zogen zudem das Arbeitsschutzgesetz zu Rate. Dessen öffentlich-rechtliche Arbeitsschutznormen konkretisierten den Inhalt der Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen, schreiben sie in ihrer Pressemitteilung. Zur Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Maßnahmen könne der Arbeitgeber Weisungen "hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb" erteilen; das wiederum schließen sie wie schon die Vorinstanzen aus dem in § 106 Satz 2 GewO festgelegten Direktionsrecht. Das dabei zu beachtende billige Ermessen werde im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.
Betriebliches Hygienekonzept
Damit war dem Urteil zufolge die Anweisung des beklagten Freistaats zur Durchführung von PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept der Staatsoper rechtmäßig. Diese habe mit Blick auf die "pandemische Verbreitung von SARS-CoV-2 mit diffusem Ansteckungsgeschehen" zunächst technische und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenraums und Anpassungen bei den aufzuführenden Stücken ergriffen, diese aber als nicht als ausreichend erachtet. Sodann habe sie – auch um den Vorgaben der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung zu genügen – mit wissenschaftlicher Unterstützung durch das Institut für Virologie der Technischen Universität München und das Klinikum rechts der Isar ein Hygienekonzept erarbeitet, das für Personen aus der Gruppe der Orchestermusiker PCR-Tests alle ein bis drei Wochen vorsah. "Hierdurch sollte der Spielbetrieb ermöglicht und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt werden", bestätigte das BAG. Die auf diesem Konzept beruhenden Anweisungen hätten billigem Ermessen entsprochen.
"Minimaler Eingriff"
Auch verfassungsrechtliche Bedenken teilte der 5. Senat nicht. Der mit der Durchführung der Tests verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei minimal und somit verhältnismäßig. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mache die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnedies im Betrieb bekannt würde. Deshalb habe der Arbeitgeber sich zu Recht darauf berufen, dass die Frau keinen Anspruch auf Vergütung wegen eines etwaigen Annahmeverzugs seinerseits besitze – jedenfalls mit Blick auf den "fehlenden Leistungswillen" der Klägerin, die die Durchführung von PCR-Tests verweigert habe. Nicht einmal für das Üben auf dem Musikinstrument in der eigenen Wohnung muss die Staatsoper demnach zahlen: Eine Vergütung dieser Zeiten sei nur geschuldet, soweit sie sich auf die tarifvertraglich geregelten Dienste – also Proben und Aufführungen – bezögen. An diesen habe die Klägerin aber im fraglichen Zeitraum gerade nicht teilgenommen. Und noch einen weiteren Hilfsantrag schmetterten die obersten Arbeitsrichter ab: Der Beschäftigungsantrag, mit dem die Künstlerin ihren Einsatz ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 erreichen wollte, sei als "Globalantrag" schon deshalb unbegründet, weil bereits der für die Zahlungsanträge maßgebliche Zeitraum zeige, dass wirksame Testanordnungen möglich sind.