Beweislastregeln bei einer Kündigung wegen Verleumdung

Grundsätzlich bleibt es dabei: Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatbestandsvoraussetzungen der Kündigung – dem Bundesarbeitsgericht zufolge gilt das auch, wenn der Kündigungsgrund in einer Verleumdung liegt. Hat er allerdings bestritten, dass die Behauptungen seiner Beschäftigten über ihre Kollegin zutreffen, muss die Arbeitnehmerin wiederum ihren Vortrag substanziieren. Tut sie es nicht, gilt der Vortrag des Arbeitgebers als zugestanden.

Verleumderische E-Mails geschrieben und falsche Urheber benannt?

Die Beklagte betreibt ein Callcenter und Infopoints, in dem die Klägerin beschäftigt ist. Ende März 2019 beschloss das Unternehmen, die Teamleitung des Infopoints auszutauschen. Rund eine Woche später erhielt die Geschäftsführung eine E-Mail von den "Mitarbeitern des Infopoints", mit der verlangt wurde, den Austausch rückgängig zu machen, weil es mit der neuen Teamleiterin "drunter und drunter" ging. Auf die Forderung, die Vorwürfe und Absender zu konkretisieren, veränderte die Klägerin die Absender in "mehrere Mitarbeiter des Infopoints" und schilderte unter anderem, dass die jetzige Teamleiterin bei Verstößen gegen Datenschutz von den Kollegen verlangt habe, den Vorfall "unter den Teppich zu kehren" und "Stillschweigen zu bewahren". Dasselbe sei passiert, als sie über Vorfälle sexueller Belästigungen informiert worden sei. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde aufgrund dieser Vorfälle verhaltensbedingt gekündigt. Es ist unklar, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß gehört worden war. Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht Hamburg stattgab. Vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg, das die Entscheidung bestätigte, benannte sie nur noch eine einzige Kollegin als Miturheberin der E-Mail. Hilfsweise stellte der Arbeitgeber einen Auflösungsantrag. Dieser wurde ebenfalls abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht hob das Urteil auf und verwies die Sache zum LAG zurück.

Sozial gerechtfertigte Kündigung?

Die Bundesrichter argumentieren, entgegen der Ansicht des LAG liege eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten vor, wenn die Behauptung, die Teamleiterin habe Verfehlungen "unter den Teppich kehren" wollen, unwahr ist. Auch eine Lüge über die Urheberschaft der E-Mails würde eine solche das Arbeitsverhältnis gefährdende Pflichtverletzung begründen, die für sich genommen bereits eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen würde. Insofern müsse über die vorrangige Kündigungsschutzklage neu entschieden werden. Die Bundesrichter wiesen darauf hin, dass die Kündigung schon an der möglicherweise nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats scheitern könnte, § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.

Beweislastverteilung im Prozess

Bezüglich des hilfsweisen Auflösungsantrags weist das BAG darauf hin, dass das LAG die Beweislastregeln nicht ausreichend beachtet hat: Obwohl die Behauptungen in der E-Mail den Tatbestand der Verleumdung nach § 186 StGB erfüllen könnte, verbleibt laut den Erfurter Richtern die primäre Darlegungs- und Beweislast für den Kündigungsgrund beim Arbeitgeber. Weil sich aber in der Regel eine negative Tatsache nicht belegen lasse, müsse die Prozessgegnerin im Rahmen ihrer sekundären Beweislast auf das einfache Bestreiten hin weiter substanziiert vortragen, was für die Richtigkeit ihrer Behauptungen über die Teamleiterin spreche. Dieses Vorbringen müsse der Arbeitgeber dann widerlegen. Habe aber - wie hier - die Klägerin die behaupteten Verfehlungen der Teamleiterin nicht weiter substanziiert, sei der Vortrag ihres Arbeitgebers gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als zugestanden anzunehmen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist dem 2. Senat des BAG bereits dann gerechtfertigt, wenn eine weitere Zusammenarbeit dem Betrieb nicht dienlich wäre. Ein Verschulden einer Partei sei dabei nicht notwendig.

BAG, Urteil vom 16.12.2021 - 2 AZR 356/21

Redaktion beck-aktuell, 7. März 2022.