Bemessung einer Entschädigung nach Verstoß gegen das Antidiskriminierungsgesetz
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Die Haftung eines Arbeitgebers nach einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist verschuldensunabhängig. Das Bundesarbeitsgericht stellte weiter klar, dass ein Gericht bei Bejahen einer Diskriminierung nicht von einer Entschädigung absehen darf. Das widerspreche ganz eindeutig der Funktion des § 15 Abs. 2 AGG, der nicht nur eine Genugtuung der geschädigten Person vorsehe, sondern auch Arbeitgeber dazu anhalten wolle, in Zukunft jegliche Benachteiligung zu vermeiden.

Keine Überstundenzuschläge für teilzeitbeschäftigte Krankenpflegerin

Eine Krankenschwester war bei einem Dialyseanbieter als Teilzeitkraft beschäftigt. Der für das Arbeitsverhältnis geltende Tarifvertrag sah einen Überstundenzuschlag in Höhe von 30% und eine Zeitgutschrift bei Leistung von Überstunden vor. Auf dem Arbeitszeitkonto der Arbeitnehmerin waren im Februar 2018 zwar fast 226 Stunden als Überstunden eingetragen - dennoch erhielt sie weder Gutschriften noch Zuschläge. Sie forderte von ihrem Arbeitgeber rund 7.000 Euro. Dabei berief sie sich auf das AGG, weil sie der Ansicht war, sie sei sowohl als Teilzeitbeschäftigte als auch als Frau (in Teilzeit arbeiteten hauptsächlich weibliche Beschäftigte) mittelbar benachteiligt worden. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main verpflichtete den beklagten Verein, ihr weitere 67 Stunden gutzuschreiben. Eine Entschädigung nach dem AGG sprach es ihr nicht zu: Wohl sah es eine Diskriminierung gegeben, sah aber unter anderem wegen mangelndem Verschulden des Arbeitgebers von einer Haftung ab. Anschließend schlossen die Parteien einen Aufhebungsvertrag, der mit einer Abfindung alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgalt. Die Pflegerin verfolgte ihren Entschädigungsanspruch vor dem Bundesarbeitsgericht weiter - ohne Erfolg.

Verschuldensunabhängige Haftung für eine Diskriminierung

Der 8. Senat des BAG rügte das Hessische LAG scharf: Zum einen sei die Haftung nach § 15 Abs. 2 AGG verschuldensunabhängig. Sowohl die europäische als auch die nationale Rechtsprechung setzten ein Verschulden des Arbeitgebers für den Verstoß gegen das Ungleichbehandlungsverbot nicht voraus. Auch bei der Bemessung der Entschädigung spiele ein mangelndes Verschulden keine Rolle, nur ein überdurchschnittlich hohes Maß an Benachteiligungsabsicht könne berücksichtigt werden.

Kein Absehen von der Entschädigung

Zum anderen könne das Gericht - so es denn wie hier einen Verstoß gegen § 7 AGG annehme - keinesfalls von einer Verurteilung zu einer Entschädigung absehen: § 15 Abs. 2 AGG solle der Geschädigten Genugtuung verschaffen und gleichzeitig den Arbeitgeber dazu anhalten, die Gleichbehandlung zukünftig sicherzustellen. Ein Absehen von Entschädigung führt dem BAG zufolge dazu, dass die präventive Funktion leerläuft. Außerdem trete der immaterielle Schadensersatzanspruch selbstständig neben den materiellen Anspruch, das Gericht könne also auch nicht mit dem Blick auf die zugesprochenen zusätzlichen Gutschriften auf dem Arbeitszeitkonto auf die immaterielle Entschädigung verzichten.

Mit Aufhebungsvertrag ist der Anspruch erloschen

Die Krankenschwester hat aber, so das BAG, mit dem Aufhebungsvertrag auf ihren - eventuell bestehenden - Entschädigungsanspruch verzichtet. Dieser ist den Erfurter Richtern zufolge als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis auszulegen, das auch alle unbekannten Ansprüche erfasst. Auch § 31 AGG, der es verbiete, von den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ungunsten der geschützten Personen abzuweichen, hindere das Erlöschen der Forderung nicht, weil es einer Geschädigten freistehe, über ihre Ansprüche aus Verstößen in der Vergangenheit zu disponieren. Somit habe sich das LAG-Urteil im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig erwiesen, § 561 ZPO.

BAG, Urteil vom 28.10.2021 - 8 AZR 371/20

Redaktion beck-aktuell, 17. Februar 2022.