BAG befragt EuGH zu Vergütung von Leiharbeitnehmern

Das Bundesarbeitsgericht hat den Europäischen Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Beantwortung von Fragen im Zusammenhang mit der Vergütung von Leiharbeitnehmern angerufen. Unter anderem geht es darum, ob durch Tarifvertrag vom Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stammarbeitnehmern abgewichen werden kann.

Stundenlohn von 9,23 Euro brutto

Die Klägerin, Mitglied der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), war von April 2016 bis April 2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin beschäftigt. Sie war einem Unternehmen des Einzelhandels für dessen Auslieferungslager als Kommissioniererin überlassen. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt einen Stundenlohn von 9,23 Euro brutto.

Abweichung von Gleichstellung vereinbart

Der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.), dessen Mitglied die Beklagte ist, hat mit mehreren Gewerkschaften des DGB – darunter ver.di – Mantel-, Entgeltrahmen- und Entgelttarifverträge geschlossen, die eine Abweichung von dem in § 8 Abs. 1 AÜG verankerten Grundsatz der Gleichstellung vorsehen, insbesondere auch eine geringere Vergütung als diejenige, die Stammarbeitnehmer im Entleihbetrieb erhalten.

Leiharbeitnehmerin hält Tarif-Regelung für unionsrechtswidrig

Die Klägerin meint, diese Tarifverträge seien mit Unionsrecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG) nicht vereinbar. Mit ihrer Klage hat sie für den Zeitraum Januar bis April 2017 Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des Equal Pay verlangt und vorgetragen, vergleichbare Stammarbeitnehmer bei der Entleiherin würden nach dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vergütet und hätten im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto erhalten. Die Beklagte ist dagegen der Auffassung, aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit schulde sie nur die für Leiharbeitnehmer vorgesehene tarifliche Vergütung, Unionsrecht sei nicht verletzt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom LAG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

BAG: Definition des "Gesamtschutzes" fehlt

Das BAG ersucht des EuGH um eine Vorabentscheidung. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG sehe vor, dass die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen müssen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären (Grundsatz der Gleichbehandlung). Allerdings gestatte Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG den Mitgliedsstaaten, den Sozialpartnern die Möglichkeit einzuräumen, Tarifverträge zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichen. Eine Definition des "Gesamtschutzes" enthalte die Richtlinie nicht, sein Inhalt und die Voraussetzungen für seine "Achtung" seien im Schrifttum umstritten. Zur Klärung der im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG verlangten Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern aufgeworfenen Fragen lege das BAG die Sache deswegen entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 267 AEUV dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

BAG, Beschluss vom 16.12.2020 - 5 AZR 143/19 (A)

Redaktion beck-aktuell, 16. Dezember 2020.