Sozialleistungen für Asylsuchende: BSG entscheidet zur Anspruchseinschränkung
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Ausreisepflichtige Asylsuchende bekommen vom Staat nur noch das Nötigste. Für das LSG Bayern muss für eine solche Anspruchseinschränkung ein Pflichtverstoß vorliegen. Dem scheint das BSG nun eine Absage erteilt zu haben – es legt dem EuGH vor.

Am Donnerstag hat das BSG in zwei Fällen über Einschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz entschieden (B 8 AY 6/23 R und B 8 AY 7/23 R). Es ging um die Frage, ob die Sozialleistungen für zwei Geflüchtete, deren Asylanträge als unzulässig abgewiesen worden waren, gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG auf das Nötigste – Lebensmittel und Unterkunft – beschränkt werden durften. Für das LSG Bayern – und einen Teil der Literatur – wäre dafür ein pflichtwidriges Verhalten der Asylsuchenden notwendig gewesen. Dem hat das BSG nun scheinbar eine Absage erteilt. Es stellte rein auf den Ablauf der Überstellungsfrist für ausreisepflichtige Asylsuchende ab. Dem EuGH legte es zudem die Frage vor, ob die Anspruchseinschränkung mit Unionsrecht vereinbar ist.

Die Asylanträge der beiden klagenden Geflüchteten waren als unzulässig abgewiesen worden, weil für beide nach der Dublin-III-Verordnung andere EU-Staaten zuständig waren. An diese Länder sollen die beiden überstellt werden, wofür jeweils eine Überstellungsfrist festgelegt wurde. Bei beiden Geflüchteten scheiterte die Überstellung aber. Bei einer nigerianischen Staatsangehörigen (B 8 AY 6/23 R) daran, dass sie in dem betreffenden Zeitraum in Mutterschutz war, ein afghanischer Mann (B 8 AY 7/23 R) konnte nicht nach Rumänien gebracht werden, weil das Land seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs keine Überstellungen mehr durchführt.

LSG: Sanktion nur bei wissentlicher Pflichtverletzung

Da beide dennoch als ausreisepflichtig galten, wurden ihre Sozialleistungen gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG eingeschränkt. Eine umstrittene Norm, denn die danach verbleibenden Sachleistungen beschränken sich auf Lebensmittel und Unterkunft und sind damit im Vergleich zum Grundbedarf der § 2 und 3 AsylbLG deutlich vermindert. Dagegen wehrten sich die beiden Geflüchteten zunächst erfolglos vor den SG, bekamen dann aber in der Berufung Recht.

Das LSG Bayern stellte für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG neben den geschriebenen Voraussetzungen eine weitere – ungeschriebene – Voraussetzung auf: eine wissentliche Pflichtverletzung des Betroffenen. Als Begründung brachte das LSG an, die verfassungskonforme Auslegung der Norm erfordere das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal, da die Norm Sanktionscharakter habe.

Prof. Dr. Constanze Janda vom Lehrstuhl für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft der Uni Speyer ordnet ein: "Das LSG Bayern hatte in der Berufung angenommen, der § 1a Abs. 7 AsylbLG sei vergleichbar mit Sanktionen aus dem SGB II und insofern mit dem Sanktionsurteil der BVerfG argumentiert (Anm. d. Red.: BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 - 1 BvL 7/16). Dort hat das BVerfG festgelegt, dass Fehlverhalten sanktioniert werden kann, aber nur, wenn der Betroffene wissentlich eine Pflicht verletzt hat und dieses Verhalten auch später korrigierbar ist."

Das LSG habe deshalb auch § 1a Abs. 7 AsylbLG teleologisch so reduziert, dass für diese Norm als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ebenfalls ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen müsse, so Janda. Da es eine solche Pflichtverletzung nicht sah, weil die unerlaubte Einreise – als nicht korrigierbar - nicht als Pflichtverletzung tauge, lehnte das LSG die Anspruchseinschränkung ab.

"Das LSG Bayern hat – allerdings als einziges LSG – bereits mehrmals auf dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal abgestellt", meint Janda.

BSG: Anspruchseinschränkung ist keine Sanktion

Der Argumentation des LSG hat das BSG nun aber eine Absage erteilt. "Denn das BSG sagt, dass der § 1a Absatz 7 AsylbLG gerade nicht vergleichbar ist mit den Sanktionen aus dem SGB II. Die Leistungskürzung sei gerade keine Sanktion, sondern knüpfe an verminderten Bedarf wegen der bevorstehenden Ausreise an", erläutert Janda.

Auf ein pflichtwidriges Verhalten als Tatbestandsvoraussetzung komme es damit gerade nicht an. Die Einschränkung von Leistungen nach § 1a Absatz 7 AsylbLG fordere keine Erfüllung von subjektiven Tatbestandsmerkmalen, weil sie nicht als Sanktion für die Nichtausreise zu verstehen sei, so das Gericht.  Stattdessen habe das BSG sich in seiner Argumentation allein auf den Ablauf der Überstellungsfrist gestützt.

In dem Fall der nigerianischen Mutter war die Überstellungsfrist bereits abgelaufen. Deshalb hat das BSG die Revision der Ausländerbehörde abgewiesen. Denn sobald die Überstellungsfrist abgelaufen ist, ist nach der Dublin-III-Verordnung wieder das eigene Land für die Geflüchtete zuständig. Der Ablauf der Überstellungsfrist nach der Dublin-III-Verordnung lasse deshalb die Möglichkeit zur Einschränkung von Leistungen entfallen, so das Gericht. Eine solche Einschränkung sei schließlich strikt an die Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, die mit dem Ablauf der Überstellungsfrist ende.  

Vorlage an EuGH: Noch an den Sozialleistungen für Einheimische orientiert?

Der Fall des afghanischen Klägers liegt insoweit anders, als die Überstellungsfrist bei ihm zum Zeitpunkt der Anspruchseinschränkung noch nicht abgelaufen war. Hier hat das BSG den EuGH angerufen.

"Die EuGH-Vorlage bezieht sich auf die Aufnahmerichtlinie (Anm. d. Red.: Richtlinie 2013/33/EU)", sagt Janda. "In Art 17 dieser Richtlinie ist sinngemäß festgelegt, dass sich die Sozialleistungen für Asylsuchende an den Sozialleistungen der einheimischen Bevölkerung orientieren sollen." Weil diese höher sind als das, was den Ausreisepflichtigen nach der Leistungseinschränkung nach § 1a Absatz 7 AslbLG gewährt wird, besteht eine Diskrepanz zwischen den üblichen Sozialleistungen und dem, was der § 1a Absatz 7 AsylbLG den Ausreisepflichtigen gewährt. Das BSG möchte nun wissen, ob diese vergleichsweise schmalere Leistung mit der Richtlinie vereinbar ist.

Für Sozialrechtlerin Janda deutet die Vorlage darauf hin, dass das BSG keine verfassungskonforme Auslegung des § 1a Abs. 7 AsylbLG für erforderlich hält. "Aus dem Umstand, dass das BSG seine Argumentation offenbar allein auf die europarechtlichen Fragen stützt, schließe ich, dass es entgegen der Rechtsprechung des LSG Bayern kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gesehen hat. Denn ansonsten hätte das BSG verfassungsrechtliche Überlegungen angestellt und das Vorliegen einer Sanktion geprüft."

BSG, Urteil vom 25.07.2024 -

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 26. Juli 2024.