Schwerbehinderter klagte: Fehlender Vermittlungsauftrag ist Indiz für Benachteiligung

Ein schwerbehinderter Bewerber sah sich durch eine Absage diskriminiert und berief sich darauf, dass der Arbeitgeber keine Vermittlung über die Arbeitsagentur angestrengt hatte. Beinahe mit Erfolg vor dem BAG, wäre seine Bewerbung nicht zwei Stunden zu spät gekommen.

Hat ein Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin entgegen § 164 Abs. 1 SGB IX nicht versucht, die offene Stelle über die Agentur für Arbeit an schwerbehinderte Menschen zu vermitteln, ist das ein Indiz für eine Diskriminierung nach dem AGG – auch für Einzelfälle. Das stellte das BAG im Falle eines schwerbehinderten Arbeitssuchenden klar, dessen Entschädigung aber daran scheiterte, dass der Bewerbungsprozess bereits abgeschlossen war. Für die Beurteilung der Diskriminierung kam es nicht auf die Annahme des Mitbewerbers, sondern auf den Zeitpunkt seiner Ablehnung an, meint das Gericht (Urteil vom 27.03.2025 – 8 AZR 123/24).

Im August 2021 bewarb sich eine schwerbehinderte Person bei einem IT-Sicherheitsunternehmen. Das Unternehmen – das weder einen Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung hatte – entschied sich jedoch für einen Mitbewerber und übersandte diesem den Arbeitsvertrag. Nach zwei Tagen war der Arbeitsvertrag geschlossen und der schwerbehinderte Bewerber erhielt etwa eine Woche später eine Absage.

Unternehmen müssen Arbeitsagentur beauftragen

Daraufhin verklagte er das Unternehmen vor dem ArbG Essen auf eine Entschädigung in Höhe eines anderthalbfachen Monatsgehaltes. Er behauptete, wegen seiner Schwerbehinderung im Auswahlverfahren diskriminiert worden zu sein. Darauf deute bereits hin, dass der Arbeitgeber entgegen § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX nicht frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufgenommen habe. Danach ist vorgesehen, dass Unternehmen die Arbeitsagentur um Vermittlung bitten und diese dann ggf. passende Bewerberinnen und Bewerber mit Schwerbehinderung für die Stelle vorschlägt. Das Unternehmen habe die Stellenanzeige jedoch lediglich in die Jobbörse der Arbeitsagentur gespeist und keinen expliziten Vermittlungsauftrag gegeben. Die dadurch indizierte Benachteiligung habe das Unternehmen nicht ausräumen können, zumal die Stelle bei Eingang seiner Bewerbung umgehend anderweitig besetzt worden sei. 

Der Arbeitgeber war der Auffassung, als privates Unternehmen nicht verpflichtet zu sein, der Agentur für Arbeit einen Vermittlungsauftrag zu erteilen. Außerdem sei das Auswahlverfahren schon vor der Bewerbung der schwerbehinderten Person abgeschlossen gewesen.

Da der Kläger zum Gütetermin nicht erschienen war, wies das ArbG die Klage durch Versäumnisurteil ab. Sein Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg, ebenso wies das LAG Düsseldorf seine Berufung zurück. Nun hatte das BAG über seine Revision zu entscheiden und folgte im Grundsatz seiner Argumentation. Letztlich war es nur sein Timing, das ihm den Anspruch verwehrte.

Fehlender Vermittlungsauftrag lässt Diskriminierung vermuten

Der Achte Senat führte aus, dass in diesem Fall tatsächlich eine gesetzliche Vermutung zugunsten des Arbeitssuchenden greife. Das spezielle Benachteiligungsverbot für Arbeitgeber gehe mit einer Beweiserleichterung für Betroffene einher. Gemäß § 22 AGG müsse der oder die vermeintlich Benachteiligte im Streitfall nur Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten ließen. In solchen Fällen trage dann die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Benachteiligungsverbote vorgelegen habe.

Das LAG habe ein solches Indiz zutreffend darin gesehen, dass das Unternehmen zuvor nicht die Agentur für Arbeit kontaktiert habe, um sich nach für die Stelle geeigneten schwerbehinderten Arbeitssuchenden zu erkundigen. § 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX schreibe das indes ausdrücklich vor, wobei in jedem Fall auch ein Vermittlungsauftrag an die Agentur für Arbeit ergehen müsse. Den fehlenden Vermittlungsauftrag als Indiz für eine Benachteiligung zu betrachten, entspreche auch einem vom BAG inzwischen bestätigten Grundsatz: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber begründeten demnach regelmäßig eine Vermutung der Benachteiligung, wenn sie gegen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verstießen. Die Pflicht zum Vermittlungsauftrag nach SGB IX sei gerade eine solche Pflicht.

Hiergegen habe die Firma auch tatsächlich verstoßen. Es sei nicht ausreichend, dass die Stellenanzeige nur auf einer Jobseite der Agentur für Arbeit aufgeführt war – der Arbeitgeber habe die Agentur explizit mit der Vermittlung beauftragen müssen. Diese Auffassung stehe auch nicht im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung für öffentliche Arbeitgeber: Für diese sehe § 165 S. 1 SGB IX ausdrücklich zwar nur vor, dass freiwerdende und neu zu besetzende Arbeitsplätze zu "melden" seien. Das umfasse nach der Rechtsprechung allerdings gerade auch die Erteilung eines echten Vermittlungsauftrages. Diese Rechtsprechung sei auf private Unternehmen zu übertragen, so das BAG.

Benachteiligung, aber zu spät

Damit war eine Benachteiligung gesetzlich vermutet, dem Arbeitgeber sei es aber gelungen, diese Vermutung wieder auszuräumen, so das BAG weiter. Das Bewerbungsverfahren sei nämlich in der Tat bereits abgeschlossen worden, sodass die Behinderung des Bewerbers nicht mehr Teil des "Motivbündels" seitens des Arbeitgebers gewesen sein könne.

Eine Benachteiligung nach dem AGG liege schließlich nicht im Erfolg anderer Bewerbungen, sondern in der Ablehnung des erfolglosen Bewerbers, bzw. der Bewerberin. Eine Diskriminierung könne daher auch entstehen, wenn es keine Mitbewerberinnen und -bewerber gebe. Daraus folge auch, dass für eine Diskriminierung derjenige Zeitpunkt maßgeblich sei, in dem entschieden werde, die Stelle nicht mit der schwerbehinderten Person zu besetzen. Diese Entscheidung wiederum könne auch darin liegen, die Stelle mit einer anderen Person zu besetzen. In diesem Fall war die Besetzungsentscheidung allerdings nachweislich bereits getroffen: Um 11:09 Uhr des 24. August 2021 habe der Divisionsleiter endgültig entschieden, den nicht behinderten Bewerber einzustellen. Die Bewerbung des Klägers sei indes erst um 12:30 Uhr eingegangen. Damit konnte es erst gar nicht zu einer diskriminierenden Ablehnungsentscheidung kommen.

Der Bewerber habe sich hier auf eine nicht mehr offene, sondern bereits besetzte Stelle beworben, folgerte der Senat. Dagegen lasse sich auch weder der spätere Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch die weitere Annoncierung der Stelle bis dahin einwenden. Zweiteres sei nicht zu beanstanden, da ein solcher "Freeze" bis zur Vertragsunterzeichnung üblich sei. Schließlich könne sich ein Arbeitgeber erst dann wirklich sicher sein, die Stelle nicht mehr besetzen zu müssen.

BAG, Urteil vom 27.03.2025 - 8 AZR 123/24

Redaktion beck-aktuell, tbh, 13. Juni 2025.

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