Große Entfernung reicht nicht: Reine Briefwahlen eines Discounter-Betriebsrats unzulässig

Das BAG hatte darüber zu entscheiden, ob für die Betriebsratswahl eines Discounters eine reine Briefwahl angeordnet werden durfte. Und zog hierfür enge Grenzen.

Die Anordnung einer reinen Briefwahl ist nur in den Grenzen des § 24 Wahlordnung (WO) zulässig. Bloße organisatorische Schwierigkeiten, weil viele Niederlassungen eines Unternehmens weit voneinander entfernt sind, reichen da nicht aus, meint das BAG. Insofern bestehe auch kein Raum für eine analoge Anwendung (Beschluss vom 22.01.2025 - 7 ABR 23/23).

Der Wahlvorstand eines Lebensmitteldiscounters hatte im März 2022 für die Betriebsratswahl in einem seiner Bezirke eine reine Briefwahl angeordnet. In dem Wahlausschreiben hieß es, dass für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die schriftliche Stimmabgabe beschlossen worden sei. Der Bezirk umfasste über 7.700 Wahlberechtigte, die insgesamt 467 Filialen des Discounters angehörten. Einen ausdrücklichen "Hauptbetrieb" gab es dabei nicht.

Nach der Wahl wandte sich eine Gruppe aus acht Betriebsangehörigen an das ArbG Hamm und focht dort die Wahl an. Das ArbG wies den Antrag jedoch ab, auch die hiergegen gerichtete Beschwerde zum LAG Hamm hatte keinen Erfolg. Erst die Rechtsbeschwerde vor dem BAG bescherte den Beschäftigten nun einen Sieg, wenngleich nur in einem wesentlichen Punkt.

Briefwahl soll die Ausnahme bleiben

Der 7. Senat könne zwar nicht abschließend urteilen; im Hinblick auf die zurückgewiesene Wahlanfechtung sei die vorinstanzliche Entscheidung allerdings aufzuheben, entschied das BAG. Wie vom Betriebsverfassungsgesetz gefordert, gründe die Anfechtung auf einem Verstoß gegen eine wesentliche Wahlrechtsvorschrift.

Die Anordnung einer reinen Briefwahl habe gegen die festen Voraussetzungen des § 24 WO verstoßen. Die Vorschrift solle gerade einen Ausgleich zwischen der umfassenden Wahlbeteiligung einerseits und den Missbrauchs- und Manipulationsgefahren andererseits schaffen, um eine sichere und geheime Wahl zu gewährleisten. Die Norm legt fest, in welchen Einzelfällen eine Briefwahl angeordnet werden darf. So etwa, wenn Wahlberechtigte zum Zeitpunkt der Wahl abwesend oder aus anderen Gründen (z.B. Außendienst oder Home-Office) verhindert sind, den Betrieb aufzusuchen. 

Analogie bei fehlendem Hauptbetrieb?

Im Streit stand vor allem der dritte Absatz des § 24 WO, der eine Briefwahl für Betriebsteile und Kleinstbetriebe erlaubt, die "räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt" sind. Der Betriebsrat hatte argumentiert, dass auch die räumliche Entfernung der über 400 Filialen im Wahlbezirk bei Fehlen eines Hauptbetriebes eine generelle Briefwahl rechtfertige. Aufgrund der zahlreichen Teilzeitkräfte hätte man die Wahlurnen etwa eine Woche in den Filialen aufstellen müssen, um alle Beschäftigten zu erreichen, wobei auch stets ein Wahlvorstandsmitglied hätte zugegen sein müssen. 

Das sah das BAG jedoch nicht als ausreichende Begründung an. Die Vorschrift berechtige den Wahlvorstand gerade nicht dazu, eine Briefwahl für alle Wahlberechtigten zu beschließen. Die Anordnung sei nicht generell ins Ermessen des Wahlvorstandes gestellt, sondern nur unter den genannten Voraussetzungen des § 24 WO zulässig. 

Die Norm solle nur gewährleisten, dass Beschäftigte mit weit entferntem Arbeitsort keinen unzumutbaren Aufwand auf sich nehmen müssten, um zum Wahllokal zu reisen. Das setze gerade voraus, dass es im Hauptbetrieb ein Wahllokal gebe. Dass es im vorliegenden Fall keinen "Hauptbetrieb" in diesem Sinne gegeben habe, sei für die Entscheidung indes nicht von Bedeutung. Denn selbst dann käme höchstens eine analoge Anwendung in Betracht, was hier bereits aus zwei Gründen scheitere. Erstens fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke und zweitens sei schon die mit der Analogie angestrebte Rechtsfolge eine andere: § 24 Abs. 3 WO sehe gerade keine generelle Briefwahl vor. Das könne auch eine analoge Anwendung nicht herbeiführen.

Wahlergebnis womöglich beeinflusst

Das BetrVG fordere für eine Wahlanfechtung auch, dass der gerügte Verstoß das Wahlergebnis beeinflussen könne. Davon sei hier auszugehen, so das BAG. Es sei durchaus denkbar, dass Wahlberechtigte, die nicht an der Briefwahl teilgenommen hätten, in einem Wahllokal doch ihre Stimme abgegeben hätten. Zudem sei nicht ausgeschlossen, dass Briefwählerinnen und -wähler möglicherweise beeinflusst worden seien. Da es bei der Briefwahl zwischen den Angestellten zu zeitlich versetzen Wahlen komme, könne es durchaus sein, dass eine Stimmabgabe zu einem späteren Tag anders ausgefallen wäre.

Damit sei die Wahlanfechtung jedenfalls im Hinblick auf die generelle Anordnung der Briefwahl begründet. Dennoch – so das BAG – sei die Sache nicht spruchreif, sodass an die Vorinstanz zurückverwiesen wurde. Insbesondere Fragen der Anfechtungsfrist und -form sind nun wiederum vor dem LAG Hamm zu klären.

BAG, Beschluss vom 22.01.2025 - 7 ABR 23/23

Redaktion beck-aktuell, tbh, 11. Juni 2025.

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