Fristenkontrolle in der Kanzlei: BAG schwenkt auf BGH-Linie ein
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Was Anwältinnen und Anwälte kontrollieren müssen, wenn ihnen Fristsachen vorgelegt werden, ist ein stetiger Quell der Freude, bzw. der Qual für Examens-Prüflinge wie auch die betroffenen Kanzleien. Das BAG lockert nun seine Rechtsprechung.

Die Formel von der stets zuverlässigen Bürokraft haben vermutliche jede Juristin und jeder Jurist schon einmal gehört - und sei es nur im Rahmen der Ausbildung, wo sie zu den absoluten Klassikern des Prozessrechts gehört. Es geht im Kern um die Frage, welche Fragen Anwältinnen und Anwälte innerhalb ihrer Büroorganisation auf andere Angestellte delegieren dürfen und was sie selbst nachprüfen müssen. Relevant wird das in der Regel, wenn vor Gericht Fristen versäumt werden und ein Wiedereinsetzungsantrag der letzte Ausweg ist. Dieser setzt nämlich nach § 233 ZPO eine unverschuldete Fristversäumnis voraus.

Grundsätzlich müssen Anwältinnen und Anwälte selbst alles Zumutbare tun, um keine Fristen zu versäumen. Weil aber nicht jede und jeder alles selbst erledigen kann, dürfen sie nach der Rechtsprechung die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Dabei müssen sie durch eine vernünftige Büroorganisation dafür sorgen, dass etwaige Fehler des Personals möglichst vermieden oder zumindest rechtzeitig korrigiert werden. Dazu gehört unter anderem, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch Erledigungsvermerke oder auf andere Weise erkennen lässt, dass die Fristen vom Personal in den Fristenkalender eingetragen wurden.

Divergenzanfrage zu Rechtsprechungswechsel vorausgegangen

Der Sechste Senat des BAG hat dazu nun klargestellt, dass Anwältinnen und Anwälte den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich prüfen müssen, wenn ihnen die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung vorgelegt werden. Hierbei müssen sie auch alle weiteren unerledigten Fristen prüfen - grundsätzlich auch, ob diese in der Handakte korrekt vermerkt wurden. Sie dürfen sich jedoch auf die Vermerke in den Handakten verlassen, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen. Ist dies nicht der Fall, brauchen sie nicht noch zusätzlich zu prüfen, ob das Fristende auch tatsächlich korrekt im Fristenkalender eingetragen ist (Urteil vom 20.02.2025 – 6 AZR 155/23).

Damit lockert das BAG seine Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt und schließt sich der bereits etablierten Rechtsprechungslinie des BGH an. Der Senat hatte dazu im Vorfeld der Entscheidung eine Anfrage an den Ersten, Dritten, Achten und Neunten Senat gestellt, ob diese sich ebenfalls der Auffassung des BGH anschließen wollen. Die anderen Senate stimmten zu, womit die Rechtsprechung aus Karlsruhe nun auch für die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt.

Anwalt musste nicht zusätzlich Fristenkalender prüfen

Hintergrund der Entscheidung war ein Fall, in dem ein Lehrer an einer Privatschule gegen eine mutmaßliche Altersdiskriminierung bei der Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen vorging. Der Anwalt des Lehrers hatte allerdings die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Der Rechtsanwalt, dessen Verschulden dem Mandanten zugerechnet wird, hatte argumentiert, dass er die Fristversäumnis nicht selbst verschuldet habe, da die Fristenkontrolle in seiner Kanzlei ordnungsgemäß organisiert gewesen sei. Er hatte die Fristen auf Grundlage der Handakten geprüft, ohne den Fristenkalender seiner Rechtsanwaltsfachangestellten zusätzlich zu kontrollieren.

Das BAG entschied nun auf den Wiedereinsetzungsantrag, dass eine über die glaubhaft gemachte ausreichende Kanzleiorganisation hinausgehende Pflicht zur eigenständigen Kontrolle des Fristenkalenders durch die Anwältin oder den Anwalt nicht besteht. Solange keine Zweifel an der Richtigkeit der Handakten bestünden, sei eine zusätzliche Überprüfung des Fristenkalenders nicht erforderlich.

BAG, Urteil vom 20.02.2025 - 6 AZR 155/23

Redaktion beck-aktuell, mam, 20. Februar 2025.

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