Der integrierte LL.B. für Juristen: "Loser-Abschluss" oder überfällige Reform?
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© Martin Schutt / dpa

Die Einführung des in­te­grier­ten Ba­che­lors in das deut­sche Ju­ra­stu­di­um war eines der zahlreichen Themen, die die Justizminister der Länder bei ihrer Herbstkonferenz diskutiert haben. Der Bun­des­ver­band rechts­wis­sen­schaft­li­cher Fach­schaf­ten e.V. (BRF) zeigt sich über den insofern gefassten Beschluss, die Thematik zur weiteren Erörterung in den Koordinierungsausschuss Juristenausbildung zu geben, enttäuscht. Die Diskussion werde bloß vertagt, lautet die Kritik.

Eigenständiger Abschluss vor dem Staatsexamen

Der LL.B. ist als eigenständiger Bachelorabschluss gedacht, der fester Teil des normalen rechtswissenschaftlichen Studiums ist und dessen Erhalt nicht die Ablegung zusätzlicher Prüfungen erfordert. Die Fachschaftsinitiative Jura München erläutert auf ihrer Webseite, Ziel des LL.B. sei die Aufwertung des Studiengangs der Rechtswissenschaft. Dies geschehe grundsätzlich durch eine frühzeitigere (Zwischen-) Anerkennung der bisherigen Studienleistungen in Form eines vollwertigen Bachelors und die dadurch einhergehende Reduzierung des Prüfungsdrucks, insbesondere in der Examensvorbereitung.

JuMiKo beschließt Vorgehen zur Einführung eines LL.B.

Bei dem JuMiKo-Treffen am 10.11.2022 in Berlin sollte es auf die Initiative Hessens hin um die "Einführung eines (integrierten) `Bachelor of Laws´-Abschlusses (LL.B.)" gehen. Tatsächlich sei bei der Konferenz nichts eingeführt worden, moniert der BRF. Vielmehr sei lediglich ein Beschluss zum Vorgehen zur Einführung gefasst worden - und selbst dieser bleibt eher vage. So sind sich die Justizministerinnen und Justizminister der Länder zwar einig, mit dem zusätzlichen Abschluss die "Attraktivität des rechtswissenschaftlichen Studiums weiter zu erhöhen." In der Sache erschöpft sich dieser Konsens jedoch darin, den Koordinierungsausschuss Juristenausbildung darum zu bitten, "die Thematik eines integrierten `Bachelor of Laws´-Abschlusses zum Gegenstand seiner Beratungen und eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches zu machen und dabei insbesondere die unterschiedlichen Ausgestaltungen in den Blick zu nehmen."

BRF: Diskussion bloß vertagt

Das geht dem BRF nicht weit genug. Es sei zu begrüßen, dass die JuMiKo die dringende Reformbedürftigkeit des Jurastudiums und die Forderungen der Studierenden nach Reformen anerkennt sowie das Engagement derjenigen Bundesländer wertschätzt, die bereits einen integrierten Bachelor anbieten oder dies planen. Der nun gefasste Beschluss dürfe allerdings keinesfalls die aktuellen Initiativen in den Bundesländern ausbremsen. Auf etwaige Entwicklungen aus bundesweiten Initiativen zu warten wäre falsch und würde die Intention der hessischen Initiative konterkarieren. Problematisch sei insbesondere, dass mit der Vertagung der Diskussion in den Koordinierungsausschuss ein Standortkampf der Fakultäten beginnen werde, der das Jurastudium insgesamt und jegliche Reformbemühungen schwäche. Ein einheitlicher Beschluss hätte indes für eine koordinierte und abgesprochene Entwicklung des Jurastudiums insgesamt sorgen können.

Bachelor soll Prüfungsdruck reduzieren

Nach Ansicht des BRF setzt der integrierte Bachelor dem "Alles oder nichts"-Charakter des Staatsexamens ein Ende und gibt den Studierenden die Sicherheit, bei einem Scheitern nicht auf das Abitur zurückzufallen. So schätzten laut einer BRF-Umfrage aus dem Jahr 2020 etwa 74% der Befragten, dass der Bachelor den Prüfungsdruck reduzieren würde. Der LL.B. biete darüber hinaus die Chance, dass andere Studienbiografien abseits der klassischen juristischen Bildungswege ermöglicht werden. Studierende könnten, aufbauend auf ihren im Jurastudium erworbenen Kenntnissen, mit ihrem Bachelor-Abschluss Masterstudiengänge, etwa in Wirtschaftswissenschaften oder Psychologie besuchen und stünden dem Arbeitsmarkt mit interdisziplinären Qualifikationen zur Verfügung. Späte Studienabbrüche könnten so vermieden werden.

Poseck: Ausrichtung des Bachelors an einem Schwerpunktbereich

Der hessische Justizminister, Roman Poseck (CDU), hat in seinem Vorschlag für die JuMiKo ebenfalls den Standpunkt vertreten, dass der integrierte LL.B. "abhängig von seiner konkreten Ausgestaltung und als Ergänzung zu den juristischen Staatsprüfungen Chancen für die Studierenden der Rechtswissenschaften, die Universitäten und den Arbeitsmarkt mit sich bringen" kann. Poseck nannte konkret die Möglichkeit der "Ausrichtung eines Bachelor-Abschlusses an einem Schwerpunktbereich, in dem auch interdisziplinäre Fähigkeiten und fachspezifische Kenntnisse vermittelt werden". Dadurch könnten sich zum einen wertvolle, auf dem Arbeitsmarkt gefragte Spezialisierungsmöglichkeiten ergeben, zum anderen könnten sich rechtswissenschaftliche Fakultäten durch die Entwicklung eigener Schwerpunkte gegenüber anderen besonders auszeichnen und Anreize für eine zusätzliche Spezialisierung der Jurastudierenden schaffen.

Zwei Juristen, drei Meinungen

Dass nicht alle Juristinnen und Juristen im integrierten LL.B. eine Chance sehen, verblüfft kaum. Besondere Aufmerksamkeit zog in der Debatte Tiziana Chiusi, Professorin an der Uni des Saarlandes, auf sich. Sie bezeichnete den integrierten LL.B. in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als "Loser-Abschluss" oder "Jodel-Diplom", den "selbst ernannte Reformer" anstrebten, obwohl es hierfür in Deutschland keinen Markt gebe. Nach Ansicht von Chiusi wird der integrierte Bachelor den Prüfungsdruck sogar noch erhöhen, da die Prüfung ebenfalls nicht beliebig oft wiederholbar ist. Die "Möglichkeit, einen Bachelor irgendwie zu ergattern" verbleibe Jurastudentinnen und -studenten, die nach einigen Semestern merken, mit dem Jurastudium überfordert zu sein, ohnehin. Anstatt den integrierten Bachelor zu machen und dann auszusteigen, sollten sich diese Studierenden besser gleich anderen Fächern wie Politikwissenschaft oder Soziologie zuwenden. Chiusi fürchtet zudem eine unbedingt zu vermeidende Konkurrenz zu den Fachhochschulen und sieht in dem LL.B. den ersten Schritt zu einem generellen Ausstieg aus dem Staatsexamen.

JuMiKo: Kein Ersatz für Staatsexamen

Der Sorge vor einer etwaigen Abwertung der juristischen Ausbildung in Deutschland sind die Justizministerinnen und Justizminister zumindest entgegengetreten. So wird in dem gefassten Beschluss klargestellt, dass der integrierte Bachelor gerade kein Ersatz für die juristischen Staatsprüfungen darstellen soll. Die juristischen Staatsprüfungen prägten und sicherten die Qualität der Juristenausbildung in Deutschland und müssten als Voraussetzung für die Befähigung zum Richteramt unangetastet fortbestehen.

Berlin verleiht den LL.B. seit 2020

An den vier Fakultäten Berlins und Brandenburgs läuft das LL.B.-Modell bereits. So erhalten Studierende der Humboldt Universität seit dem 01.01.2020 den Grad auf Antrag, um namentlich in zwei Sonderfällen zu helfen: bei endgültig nicht bestandener Erster Juristischer Prüfung oder als Kombination mit einem anderen Berufswunsch - etwa Journalismus mit juristischem Hintergrund - ohne Versuch der Ersten Juristischen Prüfung beziehungsweise des staatlichen Pflichtteils. Im Falle eines Studienabbruchs eröffnet der LL.B. die Möglichkeit, ein zweijähriges Masterstudium anzuschließen. Antragsberechtigt sind Jurastudierende, die alle Zulassungsvoraussetzungen zur staatlichen Pflichtfachprüfung sowie ein mindestens fünfwöchiges Praktikum nachweisen können und an der HU die juristische Schwerpunktprüfung bestanden haben. Die Freie Universität Berlin setzt den erfolgreichen Abschluss der ersten sechs Fachsemester und der Module der Berufsvorbereitung sowie ein abgelegtes Pflichtpraktikum und die bestandene Schwerpunktbereichsprüfung voraus.

Andere Länder ziehen nach

An den Universitäten Hamburg, Bremen und Leipzig soll der LL.B. in den nächsten Jahren eingeführt werden. In Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und neuerdings Niedersachsen wurde er in den jeweiligen Koalitionsverträgen angekündigt. Die rot-grüne Regierung in Niedersachsen hat damit auf einen offenen Brief der drei juristischen Fakultäten des Landes vom September reagiert, in dem diese ihre Zustimmung zum integrierten LL.B. kundtaten. Im neuen Koalitionsvertrag heißt es nun, die juristische Ausbildung solle reformiert und an die heutigen Anforderungen angepasst werden. Ein Schritt ist dabei die Einführung des integrierten Bachelors. Daneben nennt der Koalitionsvertrag zwei weitere wichtige Themen in der juristischen Ausbildung: die Möglichkeit des optionalen E-Examens und die paritätische Besetzung der Prüfungskommissionen in den mündlichen Prüfungen. Auch insofern stellt sich die Frage: Handelt es sich um eine Marginalisierung der juristischen Prüfungen oder um längst überfällige Schritte im Sinne einer praxisgerechten Ausbildung?

"Warum sollen sie leiden, nur weil wir es auch mussten?"

Der deutsche Rechtswissenschaftler Markus Ogorek schreibt in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass die Kritik am Bachelor im Jurastudium einen Reformunwillen in der deutschen Rechtswissenschaft offenbart und weiter: "Nicht nur in Juristenkreisen ist bekannt, dass diese (die beiden Staatsexamen) Art der Ausbildung mit enormem Arbeitsaufwand sowie mit teils ho­hen psychischen Belastungen verbunden ist, Versagens- und Zukunftsängste schwin­gen fast immer mit. Wer dies pauschal in Abrede stellt, verklärt entweder seine eigene Examenszeit oder hat ganz einfach nie eine deutsche Staatsprüfung abgelegt." Anne Sanders, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht, Recht der Familienunternehmen und Justizforschung an der Universität Bielefeld, merkt an: "Da mögen wir älteren Jurist*innen anmerken, dass wir die Examensmühen auch durchgestanden haben und man die Schwächeren eben schnell herausprüfen solle. Solche Überlegungen werden der Lebenswirklichkeit heutiger Studierender, nach Corona-Studium und steigenden Zahlen psychischer Belastungen, aber nicht gerecht. Warum sollen sie leiden, nur weil wir es auch mussten?"

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 14. November 2022.