Auswirkungen der polnischen Justizreformen

Der Streit zwischen Polens Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der EU-Kommission über die Unabhängigkeit der Gerichte ist noch nicht ausgefochten. Viele der umstrittenen Gesetze, die aus EU-Sicht den Rechtsstaat aushöhlen, sind aber schon in Kraft. Auf der Suche nach einer Lösung besuchte EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans am 18.06.2018 Polen. Für Rechtsexperten ein Anlass, vor den bereits verhängnisvollen Konsequenzen für die Arbeit der Justiz zu warnen.

Verfassungsgericht büßt Wächterfunktion ein

Seit rund zwei Jahren ordnet sich die Warschauer Regierung Experten zufolge mit zahlreichen Gesetzen die Justiz unter. "Die bisher spürbarste Folge ist die Zerstörung des Verfassungsgerichts", sagt der Rechtsstaatlichkeitsexperte Piotr Bogdanowicz von der Universität Warschau der Deutschen Presse-Agentur. Dieses knöpfte sich die PiS nach ihrem Wahlsieg 2015 als erstes vor und wählte auf umstrittene Weise eigene Richter ins Amt. Laut Bogdanowicz hat das Gericht dadurch seine Rolle als unabhängiger Wächter über Rechte und Freiheiten der Bürger und als Kontrollinstanz der Politiker verloren. "Das Gericht ist derzeit eine weitergehend politisierte Institution", bilanziert Bogdanowicz.

Einsatz regierungskonformer Richter in politisch wichtigen Fällen

"Von weiteren Folgen, die zum Beispiel aus der unrechtmäßigen Abberufung zahlreicher Gerichtspräsidenten resultieren, werden wir erst noch hören", warnt er. Kritiker werfen der PiS gezielte Personalwechsel an allgemeinen Gerichten, dem für die Richterwahl zuständigen Landesjustizrat und noch angestrebte Säuberungsaktionen am Obersten Gericht vor. Dies wird sich laut Polens ehemaligem Verfassungsgerichtspräsidenten Professor Andrzej Rzeplinski vor allem auf Urteile in politisch wichtigen Fällen auswirken – wenn es beispielsweise um die Gültigkeit von Wahlen oder den Freispruch eines Parteimitglieds geht. "Es ist zu erwarten, dass dann Richter eingesetzt werden, die der Regierung eher gesonnen sind", sagt er der dpa.

Glaubwürdigkeit von Polens Justiz leidet

Die Glaubwürdigkeit der Justiz hat darunter bereits gelitten. "Das Vertrauen in die Gerichte ist dahin", sagt Rzeplinski. Sogar ausländische Gerichte stellten die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte schon infrage: Ein irisches Gericht verweigerte die Auslieferung eines Polen, der wegen organisierter Kriminalität gesucht wurde. Es bestünden Zweifel daran, dass ihm in Polen ein fairer Prozess gemacht wird, lautete die Begründung. Solche Fälle werden sich Experten zufolge häufen und die internationale Zusammenarbeit der Justizbehörden zunehmend erschweren.

Umstrittene Reformen kaum umkehrbar

Obwohl Warschau und Brüssel noch über Änderungen an den umstrittenen Gesetzen verhandeln, sind die Reformen nach Meinung einiger Experten vorerst nicht rückgängig zu machen. Die von der PiS ernannten Richter können ohne einen Verfassungsbruch nicht abberufen werden, wie aus einem Bericht des Deutschen Polen-Instituts hervorgeht. Die Amtszeit der Juristen ist rechtlich garantiert. Die Richter würden auch unter einer neuen Regierung im Amt und damit der PiS treu bleiben, wird befürchtet. Doch nicht alle Experten sehen so schwarz: Bei den PiS-Reformen hänge viel von den Richtern ab, hebt Bogdanowicz hervor. Man müsse erst sehen, ob sie bei ihren Urteilen tatsächlich möglichem Druck der Regierung nachgeben, sagt er und hegt Hoffnung: "Noch ist Polen nicht verloren."

Redaktion beck-aktuell, Natalie Skrzypczak, 18. Juni 2018 (dpa).

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