Australien: Oberstes Gericht spricht Kardinal Pell vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei

Der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte Kardinal George Pell ist überraschend auf freien Fuß gekommen. Das höchste australische Gericht gab am 07.04.2020 dem Berufungsantrag des 78-Jährigen statt. Die einstige Nummer Drei des Vatikans wurde daraufhin nach rund 13 Monaten in Haft aus einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Melbourne entlassen. Aufgrund der Coronavirus-Beschränkungen wurde das Urteil in einem fast leeren Gerichtssaal in Brisbane von der Obersten Richterin Susan Kiefel gesprochen.

Kardinal Pell gibt sich versöhnlich

Er hege “keinen Groll“ gegen seine Ankläger, sagte Pell in einer Presseerklärung. Er wolle nicht, dass sein Freispruch zum Schmerz und zur Bitterkeit, die so Viele fühlten, beitrage. Zudem betrachte er seinen Prozess nicht als Referendum über die katholische Kirche oder über den Umgang der australischen Kirchenbehörden mit Pädophilie. “Es ging darum, ob ich diese schrecklichen Verbrechen begangen hatte, und das habe ich nicht“, betonte Pell. Das Gericht befasste sich seit März mit dem letzten möglichen Einspruch des 78-Jährigen. Bei seiner Entscheidung folgte das Gericht den Argumenten der Verteidigung, die auf Schwächen in Zeugenaussagen hingewiesen hatte.

Pell wurde Missbrauch zweier Chorknaben in den 90er Jahren vorgeworfen

Im März 2019 war der frühere Erzbischof von Melbourne wegen des Missbrauchs von zwei Chorknaben in den 90er Jahren zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte alle Vorwürfe zurückgewiesen. Der ehemalige Finanzchef des Vatikans ist der ranghöchste Geistliche in der Geschichte der katholischen Kirche, der wegen Kindesmissbrauchs verurteilt wurde. Die Aussage eines früheren Chorknaben, der heute Mitte 30 ist, war dabei maßgeblich.

Revisionsgericht rügte Fehler in der Beweiskette der Vorinstanzen

Pells Verteidiger argumentierten, dass die Aussagen nicht ausreichend waren, um die Schuld des Kardinals zweifelsfrei festzustellen. So sei es nach einer Sonntagsmesse unmöglich, dass ein Erzbischof fünf oder sechs Minuten in der Sakristei mit zwei Chorknaben alleine gewesen sein solle - so soll es bei einem Übergriff gewesen sein. Bei dem anderen Fall, für den Pell verurteilt wurde, waren laut seiner Verteidigung keine Zeugen dabei. Die Anklage habe zudem die Beweislast umgedreht: Statt dass sie Pells Schuld bewiesen habe, habe die Verteidigung seine Unschuld beweisen müssen.

Trotz Freispruchs: Pells künftige Rolle in der Kirche noch offen

Nach der Freilassung des Kardinals hat Papst Franziskus für unschuldig Verurteilte gebetet. In seiner täglichen Frühmesse sagte der Pontifex “In diesen Tagen der Fastenzeit haben wir gesehen, welche Verfolgung Jesus erdulden musste (....): Er wurde von Menschen voller Hass verurteilt, obwohl er unschuldig war. Ich möchte heute für alle Menschen beten, die unter einem ungerechten Urteil leiden.“ Der Vatikan reagierte offiziell zunächst nicht auf das Urteil in Australien. Unklar ist, welche Folgen der Freispruch nun im Vatikan für Pell hat. Pell ist nicht mehr Teil des Beratergremiums des Papstes. Der Vatikan hatte immer betont, mit Entscheidungen in dem Fall bis zum Ende des Berufungsverfahrens warten zu wollen. Es wird nicht damit gerechnet, dass Pell in den Job als Finanzchef zurückkehrt.

Redaktion beck-aktuell, 7. April 2020 (dpa).

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