Ausbildung ukrainischer Soldaten als Kriegsbeteiligung?

Die Frage, ob Deutschland durch militärische Unterstützung in den Krieg in der Ukraine hineineinzogen wird, gewinnt durch ein vom Verteidigungsministerium jüngst angekündigtes Waffentraining auf deutschem Boden weiter an Bedeutung. Während Waffenlieferungen an sich noch keinen Kriegseintritt darstellten, könnte durch die Ausbildung an diesen Waffen der gesicherte Bereich der Nichtkriegsführung verlassen werden. Wir geben einen Überblick über die Problem- und Rechtslage.

Bundestag legt Gutachten zur militärischen Unterstützung der Ukraine vor

Bereits im März hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten zur militärischen Unterstützung der Ukraine durch die NATO-Staaten und konkret zu der Frage, wann ein Staat durch Unterstützungshandlungen selbst zu Kriegspartei wird, vorgelegt. Diese lasse sich, so das Gutachten, nicht abstrakt und exakt anhand einer "roten Linie" beantworten. Unstreitig sei zwar, dass das Neutralitätsgebot durch bloße Waffenlieferungen noch nicht verletzt werde, da dieses durch das allgemeine Gewaltverbot und das System der kollektiven Sicherheit überlagert werde. Der unterstützende Staat nehme insofern eine nicht-neutrale, gleichwohl aber am Konflikt unbeteiligte Rolle ein - unabhängig vom Umfang der Lieferungen und von der Frage, ob es sich um "offensive" oder "defensive" Waffen handelt.

Kriegsteilnahme durch Waffentraining?

Rechtlich heikel werde es jedoch, so das Gutachten unter Verweis auf ein Interview der Neuen Züricher Zeitung mit dem Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger weiter, wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die Einweisung der Konfliktpartei bzw. die Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde. Thielbörger warnt in dem Interview davor, dass sich Deutschland durch entsprechende Beratungsleistungen "der roten Linie, ab der man Kriegspartei ist, einen Riesenschritt nähern" könnte. Genau diesen Schritt scheint Verteidigungsministerin Sabine Lambrecht (SPD) nun aber gehen zu wollen. Wie diverse Medien berichteten, verkündete Lambrecht Anfang letzter Woche im Rahmen einer von den USA initiierten Ukraine-Konferenz auf dem US-Militärstützpunkt in Ramstein den Start eines Waffentrainings durch das US-Militär auf deutschem Boden. Grundlage hierfür ist ein gemeinsamer Beschluss der Bundestagsfraktionen von Ampelkoalition und CDU/CSU zur Unterstützung der Ukraine, der vorige Woche verabschiedet wurde.

Deutschland unterstützt bei der Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten 

Soldatinnen und Soldaten aus der Ukraine sollen demnach nicht nur mit Waffen beliefert, sondern zudem durch das US-Militär im Umgang mit Haubitzen und anderen Waffensystemen geschult werden. Lambrecht kündigte zudem an, gemeinsam mit den Niederlanden ukrainische Soldatinnen und Soldaten an Panzerhaubitzen auszubilden. Ziel der Beratungen sei die dauerhafte Sicherheit und Souveränität der Ukraine. Einem Bericht des Redaktionsnetzwerk Deutschland zufolge gab der Sprecher des US-Verteidigungsministers, John Kirby, Ende letzter Woche in Washington bekannt, dass das Training auf deutschem Boden bereits begonnen habe. Aktuell würden zwei Gruppen von rund 50 ukrainischen Streitkräften an US-amerikanischen Artilleriegeschützen geschult, so Kirby. Die sollten dann wiederum - zurück in der Ukraine - die eigenen Truppen ausbilden.

Kritik aus der Opposition - Bundesregierung in der Defensive

Aus Sicht der Linksfraktion birgt der Beschluss das Risiko, als Kriegspartei in den Krieg hineingezogen zu werden. "Die Ampelkoalition und die Union haben Deutschland mit ihrem Bundestagsbeschluss, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern und darüber hinaus auch ukrainische Soldaten in Deutschland oder auf NATO-Gebiet auszubilden, zur aktiven Kriegspartei gemacht", sagte Zaklin Nastic, Obfrau im Verteidigungsausschuss und menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verteidigte das Trainingsprogramm demgegenüber heute gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Jedem sei klar, dass man sich immer wieder in einer schwierigen Abwägung befinde, so Hebestreit. Die Überzeugung der Bundesregierung sei aber, dass auch die Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Deutschland an Waffensystemen weiterhin keinen direkten Kriegseintritt bedeutet.

Rechtliche Grauzonen

Der Übergang zwischen Nichtkriegsführung und Kriegsführung ist eine Grauzone, heißt es im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag. Grauzonen eröffneten wiederum stets die Möglichkeiten für rechtlich unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen durch alle Beteiligten. So haben die USA und Deutschland dem Vorstoß Polens, unter Nutzung des US-Militärstützpunktes Ramstein in Deutschland Kampfjets an die Ukraine zu liefern, eine klare Absage erteilt, da es sich hierbei um einen NATO-Stützpunkt handelt. Aus russischer Sicht wäre ein Kampfflugzeug, das von Westen aus NATO-Gebiet kommend in den ukrainischen Luftraum eindringt, durchaus als Zeichen interpretierbar, dass sich die NATO in die Kampfhandlungen einschaltet – Eskalationspotential inklusive, so das Gutachten. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, geht sogar noch eine Stufe weiter. Gegenüber der "Bild am Sonntag" bezeichnete er die Befürchtung mancher Deutscher, durch Waffenlieferungen zur Kriegspartei zu werden, als "völligen Quatsch". "Für Putin ist Deutschland längst Kriegspartei", so Melnyk.

Miriam Montag, Redaktion beck-aktuell, 2. Mai 2022.