Streit um Leihmutterschaft: Kirche durfte Domkantor nicht kündigen

Der bei der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig angestellte Domkantor muss weiter beschäftigt werden. Seine Kündigung ist nach einem am Donnerstag ergangenen Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig unwirksam. Der Kirchenmusiker hatte sich gegenüber der Kirche die Möglichkeit einer Leihmutterschaft für sich und seinen Partner offengehalten. Die Kirche sah darin einen Loyalitätsverstoß. Das ArbG teilte diese Ansicht nicht.

Domkantor mit bundesweitem Bekanntheitsgrad

Der Kläger wehrte sich mit seiner Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche fristlose Kündigung vom 22.03.2022, auch gegen eine hilfsweise erhobene außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 31.10.2022. Die Landeskirche begründete die Kündigung damit, dass der Kläger sich Pläne offengehalten habe, für sich und seinen Ehemann Kinder im Weg der Leihmutterschaft in Kolumbien austragen zu lassen. Hierin liege ein erheblicher Loyalitätsverstoß, der eine weitere Zusammenarbeit auch unter Berücksichtigung der exponierten Position des Klägers als Domkantor mit bundesweitem Bekanntheitsgrad unzumutbar mache. Zudem hätten die Diskussionen um die privaten Planungen des Klägers zu Zerwürfnissen unter Mitarbeitern, die in weiten Teilen eine weitere Zusammenarbeit ablehnten, geführt. Die Klägerseite hielt dem entgegen, dass zu keinem Zeitpunkt eine kommerzielle Leihmutterschaft geplant gewesen sei und dass die Landeskirche versuche, durch die Kündigung einen bloßen Gedankenprozess zu unterbinden. Ferner habe die Kirchengemeinde selbst für die Verbreitung des Sachverhalts gesorgt. Der Kläger sei in seiner Reputation und möglicherweise auch wirtschaftlich schwer geschädigt.

Kündigung ist unwirksam

Das ArbG hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und sowohl die außerordentliche Kündigung als auch die hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für unwirksam erklärt. Zudem verurteilte das ArbG die Landeskirche zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers als Domkantor bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens. Ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wurde zurückgewiesen. Diesbezüglich hatten die Parteien im Rahmen der Verhandlung über Prozesserklärungen eine Übereinkunft getroffen, um eine (zwangsweise) Durchsetzung des Weiterbeschäftigungsanspruchs zu vermeiden. Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben sei, da in dem sanktionierten Verhalten des Klägers kein direkter Verstoß gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht gegenüber der Landeskirche zu erkennen sei. Indem der Kläger gegenüber der Landeskirche erklärt habe, sich die Möglichkeit einer Leihmutterschaft offenzuhalten, habe er nicht gegen eine konkrete, aus dem Selbstverständnis der Kirche folgende Loyalitätsanforderung verstoßen.

Bloßer Abwägungsprozess nicht mittels Kündigung zu sanktionieren

Auch überwiege im Weg der gebotenen Abwägung der Interessen der Parteien im Einzelfall nicht das Interesse der Kirche an einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Dabei berücksichtigte die Kammer – neben dem Umstand, dass ein direkter Verstoß des Klägers gegen Loyalitätspflichten nicht erkannt werden könne – insbesondere, dass die mit der Kündigung sanktionierte Äußerung keinen provokativen Charakter aufweise, sondern dem Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit unterfalle. Der bloße Abwägungsprozess des Klägers sei nicht mittels Kündigung zu sanktionieren. Ferner bestünden keine ausreichenden Anhaltspunkte, dass die öffentliche Verbreitung der Problematik auf einem Verhalten des Klägers beruhe. Das Gericht erkannte hierbei einen erheblichen Eigenanteil der Landeskirche und ein Mitverschulden.

ArbG Braunschweig, Urteil vom 15.09.2022 - 7 Ca 87/22

Redaktion beck-aktuell, 16. September 2022.