Klage gegen Rückstufung auf Grundlage einer Vergleichsgruppenbetrachtung
Im ersten Fall war der Kläger vom Standort Wolfsburg bei Übernahme des Betriebsratsamtes im Jahr 2002 in die Entgeltstufe 13 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag eingruppiert und erhielt zuletzt eine Vergütung nach der Entgeltstufe 20. Die Beklagte nahm auf der Grundlage einer Vergleichsgruppenbetrachtung mit Wirkung ab Oktober 2022 eine Rückstufung des Klägers in die Entgeltstufe 18 vor und kürzte die Vergütung um etwa 640 Euro monatlich. Der Kläger hat die Vergleichsgruppenbildung der Beklagten als nicht nachvollziehbar angegriffen und sich auf eine ihm im Jahr 2015 angebotene Stelle berufen, die eine Vergütungsentwicklung - unstreitig - bis zumindest in die Entgeltstufe 20 beinhaltet.
Berücksichtigung des Stellenangebotes unter Gesichtspunkt einer "hypothetischen Karriere"
Das ArbG hat der Klage unter Hinweis auf die dem Kläger im Jahr 2015 angebotene Stelle stattgegeben und die Berufung zugelassen. Die Entscheidung des BGH vom 10.01.2023 stehe der Berücksichtigung dieses Stellenangebotes unter dem Gesichtspunkt einer "hypothetischen Karriere" nicht entgegen. Es habe sich um eine tatsächlich zu besetzende Stelle gehandelt, für die sich der Kläger nicht aufgrund seiner Tätigkeit im Betriebsrat, sondern der zuvor übertragenen Aufgaben und den dort gezeigten Leistungen qualifiziert habe. Die Stelle habe der Kläger mit Rücksicht auf eine kurz zuvor im Betriebsrat übernommene Funktion abgelehnt.
Zweiter Fall: Zusatzaufgaben als Grundlage für die Höhergruppierung
Im zweiten Fall war ein Mitarbeiter vom Standort Salzgitter Ende 2016 vor der Übernahme des Betriebsratsamtes (Mai 2017) von der Entgeltstufe 12 in die Entgeltstufe 13 höhergruppiert worden. Die Beklagte nahm mit Wirkung ab dem Oktober 2022 eine Rückgruppierung in die Entgeltstufe 12 vor und kürzte das Gehalt des Klägers für die Monate Februar und März 2023 um etwa 280 Euro monatlich. Sie begründet die Rückgruppierung damit, dass die Höhergruppierung des Klägers Ende 2016 in die Entgeltstufe 13 im unmittelbaren Zusammenhang mit der Amtsübernahme ohne erkennbare Änderung seiner Tätigkeit erfolgt sei. Der Kläger macht geltend, die Höhergruppierung habe auf einer bereits im April 2016 vollzogenen Erweiterung seines Tätigkeitsbereichs beruht. Das ArbG hat der Klage unter Hinweis auf den Vortrag des Klägers zu übernommenen Zusatzaufgaben als Grundlage für die Höhergruppierung stattgegeben. Die Beklagte sei der Darstellung des Klägers nicht entgegengetreten.
Betriebsrat fordert Gesetzgeber zur Klarstellung auf
Der Betriebsrat zeigte sich angesichts der Entscheidungen erfreut. Generell bleibe aber zunächst die rechtliche Unsicherheit für Unternehmen bundesweit bestehen. "Arbeitsrechtlich ist etwas geboten, was gleichzeitig strafrechtlich im Risiko stehen kann. Der Gesetzgeber muss diesen Zustand mit einer Klarstellung beenden", sagte ein Betriebsratssprecher. Aus Sicht des Unternehmens scheint sich zu bestätigen, dass die Arbeitsgerichte die ständige Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts zur Betriebsratsvergütung weiterhin für zulässig erachten. Insbesondere auch die Möglichkeit einer hypothetischen Karriereentwicklung werde gestützt, sagte ein Sprecher. Allerdings ergebe sich aus den drei vorliegenden Fällen in erster Instanz noch keine rechtliche Grundsatzklärung.
Mehr als 20 Klagen allein in Braunschweig
Der BGH hatte Anfang des Jahres ein Urteil des Landgerichts Braunschweig als lückenhaft eingestuft, in dem es um die Bezüge mehrerer leitender Volkswagen-Betriebsräte ging - darunter Ex-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Die Gehälter könnten demnach doch zu hoch angesetzt gewesen sein. Aus dem Konzernumfeld hieß es später, dass eine höhere zweistellige Zahl von Betriebsratsmitgliedern von der engen Auslegung des BGH betroffen sei - und zwar über alle Gehaltsstufen hinweg. Um Änderungen komme man wohl nicht herum. In der ersten Instanz gab es nun drei Niederlagen. An weiteren Arbeitsgerichten, die für VW-Standorte zuständig sind, gibt es zahlreiche ähnliche Klagen, allein in Braunschweig mehr als 20. Aus diesen Verfahren erhoffen sich beide Seiten Herstellung von Rechtssicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit. Auch Beobachter von außen haben in dem Zusammenhang die seit vielen Jahren geltenden rechtlichen Bestimmungen als zu schwammig kritisiert.