Arbeitsausschuss: Experten uneins über Nachholfaktor in der Rentenformel

Der Vorschlag der FDP-Fraktion, den Nachholfaktor in der Rentenformel angesichts der Corona-Krise wieder einzuführen, stößt bei Experten auf ein geteiltes Echo. Das wurde in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am 26.10.2020 deutlich. Während die FDP eine Beibehaltung des Status quo als unzumutbare Belastung für die jüngere Generation sieht, befürchtet der Sozialverband VdK kurzfristig niedrigere Rentenanpassungen.

Nachholfaktor seit 2018 ausgesetzt

Der Nachholfaktor wurde in der Finanzkrise 2008 eingeführt und sollte angesichts sinkender Löhne verhindern, dass die Renten sinken. Er besagt: Sobald sich die Wirtschaft erholt und die Löhne wieder steigen, sollen die dann möglichen Rentenerhöhungen nur halb so hoch ausfallen wie nach der Rentenanpassungsformel eigentlich vorgesehen. Dies solle solange gelten, bis die in der Krise eigentlich fällige, aber vermiedene Rentenkürzung ausgeglichen ist. 2018 wurde der Nachholfaktor jedoch bis 2025 ausgesetzt.

FDP: Aussetzen des Nachholfaktors geht auf Kosten der jüngeren Generationen

"Dieses Aussetzen des Nachholfaktors kommt einer Manipulation der Rentenanpassungsformel zu Lasten der Jüngeren gleich. Denn es wird in der aktuellen Situation unweigerlich zu einer ungleichen Lastenverteilung in der gesetzlichen Rentenversicherung führen - auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler der jüngeren Generationen", schreiben die Liberalen.

Arbeitgeber begrüßen den Antrag der Liberalen

Positiv bewerten arbeitgebernahe Institutionen den Antrag, wie aus den Stellungnahmen deutlich wird: So schreibt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: "Die Kosten aus der Alterung der Gesellschaft und die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie müssen in der Rentenversicherung gleichmäßig auf die Generationen verteilt werden. Dies kann erreicht werden, wenn sowohl der Nachhaltigkeitsfaktor als auch der Nachholfaktor wieder bei der Rentenanpassung uneingeschränkt Anwendung finden."

Aussetzung verschärft Probleme der Rentenversicherung

Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Werding bezeichnet die Aussetzung der Schutzklausel als "unbegründete Abweichung vom Grundsatz lohnorientierter Rentenanpassungen". Unter den Bedingungen der aktuellen Krise könne sie permanente Wirkungen auf das Rentenniveau und den Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) entfalten, die die ohnehin absehbare finanzielle Anspannung der GRV in der bevorstehenden akuten Phase der demographischen Alterung noch verschärften, warnt Werding.

Sozialverband VdK kritisiert FDP-Vorschlag

Der Sozialverband VdK Deutschland kritisiert dagegen, der Vorschlag der FDP-Fraktion führe nicht zu einer generationengerechten Überwindung der Corona-Krise, sondern zu kurzfristig niedrigeren Rentenanpassungen. Der Antrag postuliere, dass die Aussetzung des Nachholfaktors "einer Manipulation der Rentenanpassungsformel zu Lasten der Jüngeren" bedeutet. Diese Aussage sei aber "inhaltlich falsch". Die Deutsche Rentenversicherung verweist darauf, dass eine vorzeitige Reaktivierung des Nachholfaktors unter anderem mit der Haltelinie für das Rentenniveau, aber auch mit dem Angleich der Ost-Renten kollidieren würde.

Experte: Aussetzen des Nachholfaktors war nicht zwingend notwendig

Eckart Bomsdorf, Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik, kritisiert in seiner Stellungnahme das Aussetzen des Nachholfaktors 2018 zwar als nicht "zwingend notwendig". Mit oder ohne Nachholfaktor werde das Rentenniveau 2025 bei 48% liegen. Um die Corona-Krise generationengerecht zu überwinden, bedürfe es allerdings anderer Maßnahmen als der von der FDP angestrebten Gesetzesänderung. So gebe es bei den Erwerbsminderungsrenten eine größere Gerechtigkeitslücke als mit diesem Antrag der FDP angesprochen werde.

Redaktion beck-aktuell, 27. Oktober 2020.