Seit gut drei Jahren haben die europäischen und die deutschen Finanzbehörden Probleme mit den anwaltlichen Sammelanderkonten, also mit Konten, mit deren Hilfe Anwältinnen und Anwälte Zahlungen von Mandantinnen und Mandanten abwickeln. Behörden vermuten bei der Führung dieser Konten die Gefahr der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung. Anfang 2022 hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) neue Auslegungs- und Anwendungshinweise zum Geldwäschegesetz an die Kreditinstitute herausgegeben. Darin waren Privilegien bei der Kontoführung für Rechtsanwälte und Notare gestrichen worden.
Der Druck auf die deutschen Kreditinstitute hatte dazu geführt, dass etliche Banken Anwaltskanzleien die Sammelanderkonten kündigten, weil diese angeblich nicht mehr zulässig seien. Dies sorgte für erhebliche Unruhe in der Anwaltschaft. Denn gerade für die Abwicklung kleiner Zahlungen, wie etwa Ratenzahlungen gegnerischer Mandantinnen und Mandanten, ist das Sammelanderkonto praktisch und kostensparend. Für jedes dieser Mandate ein eigenes Anderkonto einzurichten ist unpraktikabel und auch teuer – Kosten, die die Mandantschaft oder auch die Gegner bezahlen müssten.
Daher hatte die Satzungsversammlung der Anwaltschaft im Jahr 2022 in der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) Regeln für den Umgang mit Sammelanderkonten geschaffen (§ 4 BORA). Diese sollten sicherstellen, dass Anderkonten nicht für unerlaubte Zwecke verwendet werden. Seitdem war etwas Ruhe eingekehrt. Doch jetzt sorgen die Sammelanderkonten wieder für Gesprächsstoff.
Anwaltskammern sollen Sammelanderkonten kontrollieren
Im Rahmen der Beratungen im Bundestag über den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung hybrider und virtueller Versammlungen für Anwältinnen, Notare u.a. (BT-Dr. 20/8674) beschloss der Rechtsausschuss auf Antrag der Regierungskoalition, in das Gesetz einen neuen § 73a BRAO aufzunehmen.
Nach dieser Regelung, die bisher überhaupt nicht Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens gewesen war, soll es nun eine anlasslose Überprüfung der anwaltlichen Sammelanderkonten durch die regionalen Rechtsanwaltskammern geben. Diese Prüfung soll jegliche Zahlungen erfassen, die über solche Konten abgewickelt werden. Zudem ist eine Mitwirkungspflicht der Anwältinnen und Anwälte geplant, die sich diesbezüglich auch nicht auf ihre anwaltliche Verschwiegenheit berufen könnten.
Um die Tätigkeit der Kammern zu überprüfen, gibt es zudem eine jährliche Berichtspflicht der Kammern gegenüber dem Bundesfinanzministerium. Sollte es künftig aus Sicht des Ministeriums zu wenige Prüfungen geben, ist auch eine Vorschrift denkbar, welche die Zahl der vorzunehmenden Prüfungen festschreiben würde.
Kritik aus den Kammern: Systembruch
Im Rahmen einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am 24. April 2024 äußerten nicht nur die geladenen Sachverständigen aus den Anwaltskammern erhebliche Bedenken gegenüber der Regelung. So würde erstmals bei der Berufsaufsicht überhaupt ein anlassloses Tätigwerden der Kammern geschaffen, das zudem mit einem erheblichen Eingriff in die Verschwiegenheitspflicht verbunden wäre, betonte André Haug, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Dies sei ein Systembruch und ein nicht notwendiger Paradigmenwechsel in der anwaltlichen Selbstverwaltung.
Auch sei die Regelung aufgrund der personellen Ausstattung der Kammern bisher nicht umsetzbar, wie auch der Hauptgeschäftsführer der Hamburger Rechtsanwaltskammer Henning Löwe unterstrich. Zudem bräuchte es mindestens zwei Jahre Vorlaufzeit, bis in den Kammern die entsprechenden Ressourcen geschaffen werden könnten.
Diese Kritik teilten auch der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dirk Uwer, der Vertreter des Legal Tech Verbands Markus Hartung und der Rechtsempiriker Matthias Kilian. Mit der Einführung einer anlasslosen Überwachung anwaltlicher Berufspflichten zu Sammelanderkonten durch § 73a BRAO würden das anwaltliche Berufsgeheimnis weiter relativiert und erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand für die Rechtsanwaltskammern geschaffen.
Dagegen war der Vorsitzende des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, Thomas Gasteyer, eher aufgeschlossen für die Regelung, bezeichnete die Änderungen jedoch ebenfalls als tiefgehend.
Überwachung mit Verschwiegenheitspflicht unvereinbar
Eine anlasslose Prüfung wäre tatsächlich ein Paradigmenwechsel in der anwaltlichen Selbstverwaltung. Bisher dürfen die Rechtsanwaltskammern nur anlassbezogen tätig werden, etwa bei einer Beschwerde einer Mandantin oder eines Gerichts. Eine Mitwirkungspflicht für die Anwältinnen und Anwälte gibt es bisher nicht. Wollten diese aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht nicht mitwirken, musste, wenn es dafür Gründe gab, das Verfahren an die staatlichen Ermittlungsbehörden abgegeben werden. Die Kammern sind bisher keine Ermittlungsbehörden und wollen dies als Selbstverwaltung der Anwaltschaft auch nicht werden.
Doch durch § 73a BRAO könnte dies jetzt anders werden. Denn der Blick alleine in das Sammelanderkonto hilft wenig, wenn die Kammern nicht die dazu gehörigen Mandatsakten einsehen und die Zahlungen auch inhaltlich überprüfen können. Damit müssten die Kammern ein „Durchsuchungs- und Überprüfungsrecht“ erhalten, das es so bisher nicht gibt. Und die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen müssten alle Zahlungsflüsse ihrer Mandantschaft offenlegen. Die anwaltliche Verschwiegenheit würde damit deutlich leiden, wie Kritiker anmahnten.
Die bisherigen Befugnisse der Kammern in Sachen Geldwäschebekämpfung haben eine ganz andere Zielrichtung: die Kontrolle präventiver Maßnahmen in den Kanzleien, nicht aber die Überwachung der Mandatsarbeit und der Geldflüsse. Wenn der Gesetzgeber solche Überprüfungen der inhaltlichen Tätigkeit der deutschen Rechtsanwälte schaffen will, muss er das sorgfältig prüfen – gerade auch im Hinblick auf die verfassungs- und berufsrechtlichen Auswirkungen. Die anwaltliche Verschwiegenheit ist ein hohes Gut. Sie im Rahmen einer Beschlussempfehlung im Rechtsausschuss einschränken zu wollen, wird der Rolle der deutschen Anwaltschaft im Rechtsstaat nicht gerecht.