Anwaltschaft zerstritten über geplante Rechte für Legal-Tech-Anbieter
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Anwälte sollen leichter Erfolgshonorare vereinbaren und (begrenzt) Verfahrenskosten übernehmen dürfen; die Geschäftsmodelle von Legal-Tech-Unternehmen sollen transparenter und die Informationspflichten von Inkassodienstleistern ausgeweitet werden. All das sind Ziele, die sich die Große Koalition mit einem Gesetzentwurf zum Verbraucherschutz auf die Fahnen geschrieben hat. Bei einer Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses heute am späten Nachmittag werden die Vorschläge auf verhärtete Fronten treffen.

Qualifizierte Rechtsberatung unter "Menschenvorbehalt"

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) schießt in ihrer Stellungnahme scharf gegen das Reformpaket: "Die Novellierung der Berufspflichten zur Angleichung an den Inkassodienstleistungsmarkt, der weder berufsrechtlichen Pflichten unterliegt noch eine im Ansatz vergleichbare Ausbildung voraussetzt, steht dem Anwaltsbild entgegen und hebt insoweit den Verbraucherschutz auf", schreibt die Standesorganisation. Die Erleichterung von Erfolgshonoraren und Prozessfinanzierung bedeute eine "fundamentale Abkehr vom anwaltlichen Berufsbild". Die Kammer wittert "deutliches Umgehungspotential" und sieht die Arbeit der Paragrafenkenner in die Nähe eines Gewerbes gerückt: "Der Anwalt ist dann nicht mehr das unabhängige Organ der Rechtspflege", verweist sie apodiktisch auf § 1 BRAO. Er werde zum "Investor des Mandats" und damit aufgrund erheblicher ökonomischer Eigeninteressen gleichsam selbst zur Partei. Und die vorgesehenen Befugnisse für Inkassodienstleister bewirkten eine "Aushöhlung von Sinn und Zweck des RDG". Ein Fazit der obersten Branchenhüter: Qualifizierte Rechtsberatung stehe unter "Menschenvorbehalt"; sie könne nicht durch nicht-anwaltliche Inkassodienstleister mit lediglich 120 Stunden Sachkundelehrgang geleistet werden.

"Vorgestanzte Lösungen"

Das "Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt", das die Parlamentarier Ende März in erster Lesung an den Rechtsausschuss verwiesen haben, trifft nicht nur bei der BRAK auf erheblichen Widerstand. In dieselbe Kerbe hauen der hannoversche Juraprofessor Christian Wolf und seine Wissenschaftliche Mitarbeiterin Nadja Flegler. "Ob ein Fall ein rechtliches Problem ist, ergibt sich nur aus der Gesamtheit der Rechtsordnung", haben sie den Rechts- und Verbraucherschutzpolitikern schon vorab mitgeteilt: "Daher ist eine breite rechtswissenschaftliche Ausbildung erforderlich, um dies erkennen zu können, und nicht nur das rechtskundliche Wissen über vorgestanzte Lösungen." Sie warnen: "Eine Erweiterung des Tätigkeitsfeldes von Inkassounternehmen über § 5 RDG würde zu einem unbegrenzten und unqualifizierten Rechtsdienstleistungsmarkt führen, weil am Ende der meisten zivilrechtlichen Fälle die Geltendmachung einer Geldforderung steht." Der Verbraucherschutz müsse sich daher durch einen engen Inkassobegriff verwirklichen. Das Business Modell von Legal-Tech-Unternehmen könne nur erfolgreich funktionieren, wenn das volle Prozessrisiko einschließlich der Gerichtskosten und des Honoraranspruchs der Gegenseite lediglich bei einer sehr hohen Erfolgswahrscheinlichkeit übernommen werde – da werde nach ökonomischen Kriterien selektiert.

Die niedersächsischen Forscher lassen sich auch durch die entgegen einem ersten Entwurf vorgesehene Deckelung der Verfahrenskosten, die von Anwälten dem Gesetzentwurf zufolge bis zu 2.000 Euro übernommen werden dürfen, nicht besänftigen: Das betreffe immerhin 70% der Verfahren vor den Amtsgerichten und entspreche dem durchschnittlichen Nettoverdienst in Deutschland. Die Deregulierung des Anwaltsrechts habe zu einer Spaltung der Anwaltschaft geführt, konstatieren Wolf und Flegler. Werde künftig der Zugang zum Recht für den Kläger nur noch zum Preis des Verzichts auf ein Drittel der Klageforderung ermöglicht, bedeute dies eine Kapitulation.

Digitalisierung auf dem Rechtsberatungsmarkt

Doch die Professorenzunft ist sich keineswegs einig. Martin Henssler von der Universität Köln zeigt sich deutlich wohlwollender gegenüber der geplanten Novelle. "Der Regierungsentwurf verfolgt zwei rechtspolitisch überzeugende Kernanliegen, nämlich einerseits einen rechtssicheren Regelungsrahmen für die neuartigen Formen von Inkassodienstleistungen zu schaffen und andererseits Wettbewerbsnachteile der Rechtsanwaltschaft gegenüber anderen Rechtsdienstleistern, die keinen vergleichbaren berufsrechtlichen Restriktionen unterliegen, zu beseitigen", lautet seine Kernthese. Schließlich müsse Legal Tech – auch – "Anwaltssache" sein; die fortschreitende Digitalisierung auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt müsse daher auch im anwaltlichen Berufsrecht berücksichtigt werden. So begrüßt Henssler denn auch die von der Bundesregierung angestrebte "moderate Korrektur" der jüngsten BGH-Rechtsprechung, die im Fall des Mietrechts-Verbraucherportals Lexfox den Inkassounternehmen allerhand Freiraum gewährt hat. Die Ergänzung der Legaldefinition der Inkassodienstleistung in § 2 Abs. 2 S. 1 RDG-E stelle klar, "dass die Einziehung von Forderungen als Kerngeschäft nur um diejenige rechtliche Prüfung und Beratung ergänzt werden darf, die sich auf die Einziehung bezieht, also in einem inhaltlichen Zusammenhang mit der Forderungseinziehung steht".

Allerdings: Problematisch sei die komplette Freigabe der außergerichtlichen Durchsetzung sämtlicher Geldforderungen. Dringend empfiehlt der Rechtsgelehrte daher, aufgrund ihres höchstpersönlichen Charakters zumindest sämtliche familienrechtliche Forderungen auszunehmen – hier passe das "deregulierte System" dieser Dienstleister nicht. Weiterhin unzulässig bleiben müssten außerdem nicht-anwaltliche Angebote, die auf die gerichtliche Durchsetzung von Forderungen auf der Grundlage einer bloßen Inkassozession gerichtet sind. Denn sie führten zu einer "Entfremdung" des Forderungsinhabers von dem Anwalt, der die Forderungen durchsetzt, und schnitten ihn vom Schutz des anwaltlichen Berufsrechts ab. "Die Zwischenschaltung des Inkassodienstleisters dient in einigen der derzeit praktizierten Geschäftsmodelle der Umgehung dieses anwaltlichen Berufsrechts", stellt Henssler fest. Doch der Forderungsinhaber, der das Risiko der erfolgreichen Forderungsdurchsetzung trägt, müsse "Herr" des anwaltlichen Mandatsverhältnisses bleiben. Eine Stärkung der Aufsicht und deren Zentralisierung beim Bundesamt für Justiz rät Henssler der Politik in diesem Zusammenhang. Die Neuregelung der Erfolgshonorare sieht er zudem als Verbesserung; die begrenzte Möglichkeit der Kostenübernahme für "Kleinstforderungen" nennt er vertretbar.

Leichterer Zugang zum Recht

Zwei im Berufsrecht engagierte Anwälte haben die Parlamentarier ebenfalls als Experten geladen. So meint Markus Hartung: "Die unter dem Sammelbegriff Flightrights zusammengefassten Unternehmen bedeuteten keine Konkurrenz für Anwälte, im Gegenteil: Viele dieser Unternehmen haben überhaupt erst einen relevanten Markt geschaffen, der für Anwälte typischerweise wegen der geringen Werte gänzlich unattraktiv ist." Die für die Dienstleister tätigen Kanzleien seien ihrerseits hochspezialisiert und führten die Verfahren weitgehend automatisiert durch – nur so ließen sie sich auskömmlich bearbeiten. Wobei Hartung nicht nur Vorteile für Verbraucher etwa im Dieselskandal sieht, sondern auch für Unternehmen, so im Bereich des Kartellschadenersatzes bei Lkws, Schienen, Aufzügen oder Rundholz. Durch diese Bündelung mittels einer Inkassolizenz sei auf die Beklagtenseite sehr großer Druck ausgeübt worden – sowohl prozessual auch durch strategische Öffentlichkeitsarbeit. "Diese beklagten Unternehmen, allesamt erste Adressen der deutschen Automobilindustrie, verteidigen sich verbissen gegen die Schadenersatzansprüche, obwohl an ihrer Haftung dem Grunde nach kein Zweifel besteht. Ihre erste Verteidigungslinie ist das RDG: Sie bestreiten die Aktivlegitimation der Inkassounternehmen." Kartellanten und andere Verursacher von Streuschäden, die hohe volkswirtschaftliche Schäden verursachten, könnten sich dahinter verstecken: "Zur Zeit sieht es so aus, als habe sich das RDG in ein Schutzgesetz für Großschadensverursacher verwandelt." Die BRAK verdächtigt Anwalt Hartung einer "verfassungsfernen Haltung": Die Gleichbehandlung von Anwaltschaft und Legal-Tech-Branche sei sogar verfassungs- und europarechtlich geboten. Noch radikaler: Die Beschränkungen für Erfolgshonorare bei der Vertretung von Unternehmen seien ganz aufzuheben und die angestrebte Grenze von 2.000 Euro für die Vereinbarung von Erfolgshonoraren (§ 4a Abs. 1 Nr. 1 RVG) auf 5.000 Euro, wo die Zuständigkeit der Amtsgerichte ende, zu erhöhen.

Auch sein Kollege Prof. Dr. Volker Römermann plädiert für eine noch weitergehende Liberalisierung. Das (prinzipielle) Verbot des Erfolgshonorars zeige die Verfassungswidrigkeit der geltenden Bestimmungen besonders deutlich, dabei eröffne jenes (neben Beratungs- und Prozesskostenhilfe) auch weniger leistungsfähigen Bevölkerungsteilen den Zugang zum Recht und entlaste das staatliche System. Das Verbot der Gebührenunterschreitung verfolge, soweit es verbleibe, keinen sinnvollen Zweck. Und Versuche, Rechtsdienstleister mittels Einschränkungen ihrer Befugnisse "einzudämmen", seien zum Scheitern verurteilt. Wobei Römermann daran erinnert, dass es bis 1980 sogar noch den Beruf des Rechtsbeistands gab.

Legal-Tech-Branche jubiliert

Kaum überraschend: Der Legal Tech Verband unterstützt nachdrücklich das Reformvorhaben, in RDG, BRAO und RVG "Leitplanken für ein faires Spielfeld zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen zu etablieren". Auch wenn er sehr viel weiter reichende Maßnahmen zur Öffnung des Rechtsmarkts gefordert habe, gebe es bald mehr Rechtssicherheit für nicht-anwaltliche Dienstleister. Gegründet erst im vergangenen Jahr, nennt die Lobbyvereinigung bereits Flightright, RightNow, advocado, Allianz, ARAG, Soldan, myRight, Klugo, rightmart, Advocard, helpcheck, Jurpartner, Fieldfisher "und viele andere" als Mitstreiter.

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 5. Mai 2021.