Anwaltschaft spricht sich für audiovisuelle Dokumentation von Strafprozessen aus

Der Deutsche Anwaltverein erhebt die Stimme für eine audiovisuelle Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Dies sei erforderlich, um rechtsstaatliche Defizite zu beseitigen. Auch im europäischen Ausland sei dies längst gang und gäbe. Die Anwaltschaft widerspricht damit den Generalstaatsanwaltschaften, die sich gegen die Pläne des Bundesjustizministeriums zur Video-Dokumentation aussprechen.

Bisheriges Vorgehen "vollkommen aus der Zeit gefallen"

Zurzeit sei die Dokumentation des Strafprozesses in Deutschland ein Armutszeugnis, so der DAV. Dass das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung handschriftlich Notizen anfertigen, um sich später an den Verfahrensablauf zu erinnern, wirke nicht nur für juristische Laien vollkommen aus der Zeit gefallen. Eine objektive, allen Beteiligten zugängliche Protokollierung des Inhalts der Beweisaufnahme gebe es nicht: Ein Wortprotokoll suche man vergebens, eine abspielbare Aufzeichnung erst recht – im europäischen Vergleich eine "Ausnahmeerscheinung" der negativen Art. Denn die fehlende Dokumentation berge das Risiko kognitiver Verzerrungen des Inhalts der Beweisaufnahme. Der DAV setze sich bereits seit Jahren für die Einführung der audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung ein und begrüße die entsprechenden Pläne ausdrücklich. "Eine zeitgemäße Judikative muss auch technisch auf dem heutigen Stand angelangen", so Rechtsanwalt Ali B. Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des DAV-Ausschusses Strafrecht. "Die digitale Aufzeichnung der Hauptverhandlung ist ein überfälliger Schritt."

Bedenken der Generalstaatsanwaltschaften nicht nachvollziehbar

Dass die Generalstaatsanwaltschaften nun suggerieren, der Referentenentwurf sei vonseiten der Praxis abgelehnt worden, sei nicht nur falsch – auch inhaltlich sei die Kritik nicht nachvollziehbar. Tatsächlich habe sich die vom Justizministerium in der vergangenen Legislaturperiode eingesetzte Expertenkommission, an der zahlreiche Richter und Staatsanwälte mitgewirkt haben, mit den teils irrationalen Bedenken auseinandergesetzt, die insbesondere vonseiten der Justizverwaltungen – tatsächlich aus Kostengründen – gegen die Dokumentation vorgebracht werden, und diese für nicht tragfähig befunden. Dem trage der Referentenentwurf Rechnung.

Vorteile: Transparenz, Prozessökonomie und Wahrheitsfindung

Die Vorteile einer audiovisuellen Dokumentation der Hauptverhandlung liegen für den DAV auf der Hand: Sie schaffe eine objektive und zuverlässige Dokumentation des Inhalts der Beweisaufnahme für das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten. Der Prozess der Wahrheitsfindung würde nicht nur transparenter, sondern auch für das Gericht einfacher, da etwa die Übereinstimmung von Zeugenaussagen leichter überprüfbar wäre. "Die Nachvollziehbarkeit der Beweisaufnahme wird deutlich erhöht, Fehlerquellen verringert und mögliche Verfahrensmängel verlässlicher nachweisbar", erläutert Norouzi. Richterinnen und Richter könnten sich auch generell besser aufs Zuhören konzentrieren. Nach Auffassung des DAV müsse nun zügig die Pilotierungsphase beginnen – auch um verbliebene Vorbehalte aufseiten der Richter- und Staatsanwaltschaft abzubauen. 

Redaktion beck-aktuell, 30. Januar 2023.