Anwälte sehen geplante Neuregelung gegen Abmahnmissbrauch kritisch

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat sich am 23.10.2019 mit dem Schutz vor missbräuchlichen Abmahnungen im Zusammenhang mit der Datenschutzgrundverordnung befasst. Anlass war der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BT-Drs. 19/12084). Thematisiert wurden auch ein Vorschlag der AfD-Fraktion (BT-Drs. 19/13205) sowie jeweils ein Antrag der Fraktionen von FDP (BT-Drs. 19/13165) und Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 19/6438). Wie der parlamentarische Pressedienst berichtete, sahen die eingeladenen Anwälte das Ziel zum Teil durchaus positiv, bewerteten die Regelungen zum Abmahnmissbrauch aber als nicht dringend und auch als zu weitgehend. Die Vertreter der Verbraucher- und Einzelhandelsverbände begrüßten die im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen überwiegend als Schritt zu mehr Rechtssicherheit.

Inhalt des Entwurfs

Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf vereint mehrere gesetzgeberische Maßnahmen: Zur Eindämmung missbräuchlicher Abmahnungen sieht er höhere Anforderungen an die Befugnis zur Geltendmachung von Ansprüchen, die Verringerung finanzieller Anreize für Abmahnungen, mehr Transparenz sowie vereinfachte Möglichkeiten zur Geltendmachung von Gegenansprüchen vor. Zur Stärkung des Wettbewerbs bei Ersatzteilen soll eine Reparaturklausel eingeführt werden, um den Markt zu öffnen. Wie es in dem Entwurf heißt, mehren sich in letzter Zeit die Anzeichen dafür, dass trotz gesetzlicher Regelungen weiterhin missbräuchliche Abmahnungen ausgesprochen werden. Es liege ein nicht hinnehmbarer Missstand vor, wenn Abmahnungen primär zur Erzielung von Gebühren und Vertragsstrafen ausgesprochen werden. Auch der AfD-Gesetzentwurf will missbräuchliche Abmahnungen verhindern, die FDP und die Grünen wollen mit ihren Anträgen mehr Fairness, Transparenz und Rechtssicherheit bei Abmahnungen erreichen. Alle drei Vorlagen waren Ende September 2019 bereits Gegenstand einer Plenardebatte.

Rechtsanwältin: Änderungen mit kaum einer sinnvollen praktischen Funktion

Die Hamburger Rechtsanwältin Nina Diercks erklärte, die vorgeschlagenen Änderungen im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verfügten über kaum eine sinnvolle praktische Funktion und seien vor allem nicht dazu geeignet, die von der Bundesregierung sowie den sonstigen Fraktionen postulierten Ziele zu erreichen. Es stehe vielmehr zu befürchten, dass sie zu einer größeren Rechtsunsicherheit und in Folge dessen zu zahlreichen Gerichtsverfahren führen werden. Diercks betonte, die Bundesregierung und auch die übrigen Fraktionen wollten vor allem ein Problem lösen, für das es keine Belege gebe, denn eine Abmahnwelle gebe es allenfalls gefühlt. Erfreulich sei dagegen, dass mit dem Entwurf der Auffassung eine Absage erteilt werde, dass die DS-GVO eine generelle Sperrwirkung gegenüber Rechtsbehelfen aus dem UWG habe.

"Gesetzgeberische Überreaktion"

Auch Diercks' Hamburger Kollege Joachim Nikolaus Steinhöfel sieht keine Notwendigkeit für weitreichende und teilweise auch nicht zweckgerechte Eingriffe in das deutsche Lauterkeitsrecht. Der Gesetzentwurf stelle eine gesetzgeberische Überreaktion dar, erklärte Steinhöfel, die das zu lösende Problem nicht genau erfasse, eine Vielzahl von teilweise überaus bürokratisch anmutenden und auslegungsunsicheren Begriffen einführe und dem Regelungsziel nicht diene. Erschwerend komme eine nahezu völlig fehlende Faktengrundlage dazu. Von einer Überregulierung sprach auch Rechtsanwalt Tobias Timmann von der Düsseldorfer Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Es bestehe die Gefahr, dass ein in der Praxis seit Jahrzehnten funktionierendes System außergerichtlicher und gerichtlicher Rechtsdurchsetzung allein aufgrund einer kleinen Gruppe missbräuchlich Handelnder geopfert wird. Im Ergebnis stehe zu befürchten, dass das Gesetz statt zur Stärkung des fairen Wettbewerbs zu dessen Schwächung führt.

Fachanwalt: Abgrenzung von seriös und unseriös agierenden Akteuren problematisch

Diese Gefahr sieht auch Martin Jaschinski, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz aus Berlin. Die Bekämpfung des Abmahnunwesens sei zu begrüßen, problematisch sei jedoch die Abgrenzung von seriös und unseriös agierenden Akteuren. Einige der geplanten Normen gingen in ihren Auswirkungen zu weit, da sie auch seriös agierende Marktteilnehmer träfen. Zudem merkte auch Jaschinski an, dass der Anteil an rechtsmissbräuchlichem Vorgehen im Verhältnis zum erwünschten Vorgehen nur sehr gering sei dürfte.

Wissenschaftler: Punktueller Schwächerenschutz sinnvoll

Martin Fries vom Institut für Internationales Recht der Ludwig-Maximilians-Universität München hält die dem Regierungsentwurf zugrunde liegende Annahme, dass das Abmahnwesen in Deutschland gegenwärtig aus dem Ruder laufe, ebenfalls für insgesamt wenig belastbar. Der vorgesehene punktuelle Schwächerenschutz erscheine demgegenüber sinnvoll. Auch Fries findet es schwierig, Kriterien für seriöse und unseriöse Akteure zu definieren.

Angestrebte Wirkungen der vorgesehenen Gesetzesänderungen zweifelhaft

Der emeritierte Jura-Professor Helmut Köhler aus Neusäß legte in seiner Stellungnahme Alternativvorschläge zu Grundfragen des Regierungsentwurfs vor und ging ausführlich auf Einzelfragen ein. Niemand könne etwas dagegen haben, den fairen, also lauteren, Wettbewerb zu stärken, sagte der pensionierte Richter. Die Frage sei aber, ob alle der im Regierungsentwurf vorgesehenen Gesetzesänderungen auch die angestrebte Wirkung haben oder ob einzelne Regelungen ungewollt sogar zu einer Schwächung des fairen Wettbewerbs führen.

vzbv: Korrekturen nur mit Augenmaß und Präzision

Verbesserungsbedarf sieht auch der Leiter des Teams Recht und Handel beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Otmar Lell. Korrekturen zur Verhinderung von Abmahnmissbrauch zwängen zu Augenmaß und Präzision und dürften nicht über das Ziel hinausschießen, erklärte Lell. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sei dies weitgehend, aber noch nicht vollständig gelungen. Lell begrüßte den Kompromiss zu den zivilrechtlichen Klagebefugnissen im Datenschutz. Die Befugnisse von Verbraucher- und Wettbewerbsverbänden blieben unangetastet, aber bei Abmahnungen von Seiten der Wettbewerber werde der Kostenerstattungsanspruch eingeschränkt.

HDE: Entwurf bedient die richtigen Stellschrauben

Peter Jens Schröder, Bereichsleiter Recht und Verbraucherpolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE), sagte, der Abmahnmissbrauch belaste die Einzelhandelsunternehmen, speziell den Online-Handel, weiterhin erheblich. Es sei daher zu begrüßen, dass der Gesetzgeber geeignete und wirkungsvolle Maßnahmen dagegen vornehmen will. Der Entwurf bediene die richtigen Stellschrauben und sei geeignet, einen Durchbruch im Kampf gegen den Abmahnmissbrauch zu erzielen und die Akzeptanz der privaten Rechtsdurchsetzung zu stärken.

Kostenanstieg für alle seriös handelnden Wettbewerber und Verbände befürchtet

Der Geschäftsführer des Verbands Sozialer Wettbewerb, Ferdinand Selonke, sagte, der Gesetzentwurf sorge für die Einhaltung lauterkeitsrechtlicher Regelungen. Gleichwohl weise die Vorlage weiterhin eine Vielzahl von Punkten auf, welche die konkrete Rechtsanwendung konterkarierten und neue Probleme schüfen. Würde das Gesetz in der aktuellen Fassung beschlossen, zöge dies einen erheblichen Kostenanstieg auf der Seite aller seriös handelnden Wettbewerber und Verbände nach sich. Auch dürfte die im Entwurf zum Ziel gesetzte effektive Sanktionierung von Gesetzesverstößen gerade nicht erreicht werden.

Diskussion um Einschränkung fliegender Gerichtsstände

Breiten Raum in der anschließenden Fragerunde nahm die im Entwurf vorgesehene Einschränkung sogenannter fliegender Gerichtsstände ein. Die meisten der neun Sachverständigen lehnten diese Änderung ab, weil es eine Schwächung des Lauterkeitsrechts und des deutschen Rechtssystems bedeuten würde. Hier sei aber möglicherweise ein Kompromiss denkbar.

Redaktion beck-aktuell, 24. Oktober 2019.