Experten kritisieren Novelle des Personenbeförderungsrechts

Der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Gesetzentwurf "zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts" (BT-Drs. 19/26175), mit dem unter anderem eine neue Form des Linienverkehrs eingeführt werden soll, trifft bei Sachverständigen überwiegend auf Kritik. Dies wurde am 22.02.2021 während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses deutlich.

Neue Form des Linienverkehrs geplant

Die Fraktionen von Union und SPD wollen zum einen eine neue Form des Linienverkehrs innerhalb des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), den sogenannten Linienbedarfsverkehr einführen. Daneben soll es auch eine neue Form des Gelegenheitsverkehrs außerhalb des ÖPNV, den sogenannten gebündelten Bedarfsverkehr, geben. Zugleich sollen einzelne Regelungen zum Taxen- und Mietwagenverkehr angepasst werden. Die Änderungen seien dabei so ausgestaltet, "dass zwischen den unterschiedlichen Beförderungsformen ein fairer Ausgleich gewahrt bleibt und die Länder oder die nachgeordneten Kommunen entsprechende Steuerungsmöglichkeiten erhalten", heißt es in dem Gesetzentwurf.

Klare Marktabtrennung von Taxen und Mietwagen gefordert

Sowohl Herwig Kollar, Vizepräsident des Bundesverbandes Taxi, als auch Christoph Weigler, Deutschlandchef des Mietwagenvermittlers Uber, halten die Neuregelung für nicht ausreichend – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Taxi-Vertreter Kollar forderte eine klare Marktabtrennung, weil Taxi und Mietwagen ganz unterschiedliche Funktionen und Pflichten hätten. Es dürfe nicht sein, das Taxis mit ihren ÖPNV-Pflichten und "unregulierte Mietwagen" das gleiche Marktsegment bedienen.

Für Rückkehrpflicht und Vorausbuchungsfrist

Unbedingt beibehalten werden muss aus Sicht Kollars die Rückkehrpflicht auftragsloser Mietwagen an ihre Betriebsstätten, um so vor allem in Innenstädten der Ballungsgebiete zusätzlichen Verkehr zu vermeiden. Außerdem müssten die Kommunen eine vernünftige Vorausbuchungsfrist für die Mietwagen verhängen können, "dort wo sie gebraucht wird, um taxi-ähnlichen Mietwagenverkehr zu vermeiden".

Besserstellung von Taxis moniert

Uber-Vertreter Weigler lehnte Rückkehrpflicht und Vorbestellfrist hingegen ab. Der Gesetzentwurf manifestiere die Besserstellung von Taxis durch gesenkte Anforderungen, die Beibehaltung des Mehrwertsteuerunterschieds von 12% zugunsten der Taxis und vermehrten Regulierungen bei Mietwagen wie Mindestpreise und Kennzeichnungspflichten, befand er. Die Rückkehrpflicht für Mietwagen nannte Weigler "sowohl ökologisch als auch ökonomisch schwer nachvollziehbar". Eine Vorbestellfrist würde den Belastungen noch die Krone aufsetzen, sagte der Uber-Deutschlandchef. Dies alles sei nicht im Sinne einer Verkehrswende, bei der es darum gehe, die Nutzung privater Pkw einzuschränken.

Kritik an zu viel Regulierung

Aus Sicht von Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics wird durch den Gesetzentwurf zu viel reguliert. Auch er hält das Festhalten an der Rückkehrpflicht bei Mietwagen für problematisch. Dies führe zu unnützen Leerfahrten. Offensichtlicher Zweck sei es, dadurch Fahrten mit Mietwagen künstlich zu verteuern, "um anderen Verkehrsmitteln künstliche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen". Das gleiche gelte für eine etwaige Vorbestellfrist für Mietwagen. Haucap sprach sich für mehr Preisflexibilität aus. Damit könne auch eine bessere Auslastung der Fahrzeuge erreicht werden.

Regeln als hemmend für neue Verkehrsformen kritisiert

Enttäuscht vom Entwurf zeigt sich auch Marion Jungbluth von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Neue Verkehrsformen würden so eher verhindert als gefördert. Statt alles von Anfang an zu regulieren, um alle Eventualitäten zu berücksichtigen, sollte aus Verbrauchersicht kurzfristiger auf eventuelle Fehlentwicklungen reagiert werden, forderte Jungbluth. "Nach der Novelle ist vor der Novelle", müsse das Motto lauten.

Einheitlicher Steuersatz für ÖPNV, Taxi und Ride-Pooling-Anbieter gefordert

Robert Henrich, CEO der MOIA GmbH, einem Ride-Pooling-Anbieter, der Fahrten bündelt und mehrere Fahrgäste mit gemeinsamen Fahrziel transportiert, sieht in dem Entwurf einen wichtigen Schritt, um den aktuellen Zustand der Rechtsunsicherheit zu beenden. Er müsse jedoch um drei Klarstellungen ergänzt werden: Zum einen müsse der Steuersatz für ÖPNV, Taxi und Ride-Pooling-Anbieter einheitlich sein. Auch müssten Regelungen zur Barrierefreiheit und zu Sozialstandards für alle Anbieter gleich sein, sagte Henrich. Zudem müsse das Recht, Pooling-Verkehre durchzuführen, der Verkehrsart Ride-Pooling vorbehalten sein.

Verdi sieht Beschäftigte tarifgebundener Unternehmen benachteiligt

Abgelehnt wird der Gesetzentwurf hingegen von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Eigenwirtschaftliche Antragsteller dürften bei den Ausschreibungen von Verkehrsleistungen neben dem ohnehin eingeräumten Vorrang nicht einen doppelten Wettbewerbsvorteil auf Kosten der Beschäftigten tarifgebundener Unternehmen und auch der Kommunen erhalten, weil sie Sozialstandards nicht einhalten müssen, sagte Verdi-Vertreterin Mira Ball.

Mehr Regulierung des Mietwagenmarktes angemahnt

Jan Strehmann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund hält hingegen den Mietwagenmarkt für nicht ausreichend reguliert. Im Mietwagenbereich sei eine die Rückkehrpflicht bei Bedarf ergänzende Vorbestellfrist – unmittelbar auf der Ebene des Plattformbetreibers – sachgerecht, um den gebotenen Abstand zu den anderen Verkehrsformen zu wahren, befand er. Im aktuell geplanten Rechtsrahmen gebe es die konkrete Gefahr einer "Flucht in den Mietwagenmarkt", der weder Beförderungs- und Tarifpflichten noch sonstige Vorgaben zur Verkehrseffizienz oder zur Barrierefreiheit zu erfüllen habe.

Aber auch Zufriedenheit mit Gesetzentwurf

Jan Schilling vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sprach hingegen von einem guten Gesetzentwurf. Ein Verzicht auf die Neuregelung würde den Rückfall in eine Zeit ohne Rechtssicherheit für die Pooling-Verkehre mit sich bringen und die mangelnde Regulierung im Mietwagenbereich verlängern. Auch der Grundgedanke der kommunalen Steuerung ginge verloren, sagte Schilling. Er machte deutlich, dass der Wettbewerb um die Verkehrsleistung nicht auf dem Rücken der Beschäftigten geführt werden dürfe. Die positiven Tarifentwicklungen bei den öffentlichen aber auch im Bereich der privaten Anbieter, vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, zeigten aber, dass dies nicht der Fall sei.

Regelungen zur Barrierefreiheit vermisst

Einschneidende Lücken im Bereich der Barrierefreiheit enthält der Gesetzentwurf aus Sicht von Annerose Hintzke vom Sozialverband VdK Deutschland. Blinde und Sehbehinderte würden von den neuen Formen der Mobilität ausgeschlossen, kritisierte sie. Es brauche Barrierefreiheit sowohl bei den Informationen als auch bei den Bezahlvorgängen.

Redaktion beck-aktuell, 24. Februar 2021.