Regierungsentwurf zur Verstetigung von Anti-Terror-Befugnissen umstritten

Die Absicht der Bundesregierung, die seit 2002 befristet geltenden erweiterten Befugnisse der Nachrichtendienste im Kampf gegen Terrorismus endgültig festzuschreiben, stößt unter Rechtswissenschaftlern und Datenschützern auf Bedenken. In einer Anhörung des Innenausschusses wiesen Sachverständige auf inzwischen ergangene Urteile des Bundesverfassungsgerichts hin, aus denen die Grundgesetzwidrigkeit mehrerer der zur Entfristung vorgesehenen Regelungen abzuleiten sei.

Weitreichende Befugnisse nach Terrorattacken des 11.09.2001 beschlossen

Das nach den Terrorattacken des 11.09.2001 in den USA von der damaligen Bundesregierung geschaffene Terrorismus-Bekämpfungsgesetz sollte unter anderem die Überwachung der Internet- und Telekommunikation sowie den Austausch von Daten zwischen Nachrichtendiensten und Strafverfolgern erleichtern. Für die Verstetigung im Rahmen des aktuellen Gesetzentwurfs sprach sich der Vizepräsident des Bundeskriminalamts Jürgen Peter aus. Terrorismus sei heute "aktueller denn je". Erkenntnisse von Nachrichtendiensten seien auch für die polizeiliche Ermittlungsarbeit und die Strafverfolgung unverzichtbar.

Rechtswissenschaftler verweist auf Rechtsprechung des BVerfG 

Dagegen betonte der Mainzer Professor für Öffentliches Recht Matthias Bäcker, dass das Bundesverfassungsgericht mittlerweile mehrere der in Rede stehenden Bestimmungen "sturmreif geschossen" habe, unter anderem durch die Entscheidung vom Mai dieses Jahres, die Befugnis des Bundesnachrichtendienstes zur Überwachung ausländischer Fernmeldeverkehre zu begrenzen (Urteil vom 19.5.2020, BeckRS 2020, 8777). Dies gelte insbesondere für die Vorschriften zur Datenübermittlung zum Zweck der Strafverfolgung, die seither verfassungsrechtlich "nicht zu halten" seien. Es habe keinen Sinn, "punktuell an Mängeln herumzuschustern", die nur die "Spitze des Eisberges" darstellten. Dringend erforderlich sei vielmehr eine "verfassungsrechtlich angeleitete Reform", was bedeute: "Das geltende Recht wegwerfen und neu machen."

Datenschutzbeauftragter Kelber gegen eine Entfristung der Befugnisse

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Ulrich Kelber appellierte an das Parlament, die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Aufgabe zu erledigen "statt über die Entfristung einzelner Normen zu diskutieren". Dafür sei derzeit nicht der richtige Zeitpunkt. Die Geschäftsführerin des seit 2010 in Berlin wirkenden Vereins "Digitale Gesellschaft", Elke Steven, forderte vor jeder weiteren Diskussion über die Verstetigung von Antiterror-Befugnissen eine "Überwachungsgesamtrechnung" und eine "Freiheitsbestandsanalyse". Sie beklagte, die Bürger könnten ihre Grundrechte mittlerweile kaum noch wahrnehmen, ohne damit rechnen zu müssen, überwacht zu werden. Steven hinterfragte auch den Begriff des Terrorismus selbst, der ihrer Ansicht nach geeignet sei, Vorbehalte gegen den Islam und Misstrauen gegen Migranten zu schüren.

Bislang besonnener Gebrauch der Befugnisse durch die Behörden

Als sowohl verfassungsrechtlich wie inhaltlich unbedenklich bewertete hingegen der Bonner Professor für Öffentliches Recht Klaus Ferdinand Gärditz den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Auch er betonte, dass es "gute Gründe" für eine "Gesamtreform" des Rechts der Nachrichtendienste gebe, doch sei für umfassende Regelungen dieser Art "jetzt nicht die Zeit". Gärditz machte geltend, dass die Nachrichtendienste bisher von ihren erweiterten Befugnissen einen lediglich "selektiven" und keineswegs "extensiven" Gebrauch machten. So komme es im Durchschnitt etwa 70 Mal im Jahr vor, dass Telekommunikationsanbieter oder andere Dienstleister zu Auskünften gemäß den Bestimmungen des Gesetzes verpflichtet würden. Gemessen an jährlich 10.000 Telefonüberwachungen lasse diese Zahl eine maßvolle Praxis erkennen.

Redaktion beck-aktuell, 3. November 2020.