Experten fordern vollständiges Werbeverbot für Tabakwaren

Um den Konsum von Tabakwaren und elektronischen Zigaretten weiter zu senken, haben Union und SPD einen Entwurf für ein "Zweites Gesetz zur Änderung des Tabakerzeugnisgesetzes" vorgelegt, der starke Werbebeschränkungen für jegliche Tabakerzeugnisse vorsieht. Bei der öffentlichen Anhörung im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft am 29.06.2020 stieß der Entwurf nicht auf volle Zustimmung. Mehrere Experten plädierten für ein vollständiges Werbeverbot.

Einschränkung bei Außen- und Kinowerbung

Konkret soll laut Entwurf (BT-Drs. 19/19495) Außenwerbung künftig nur noch für Geschäfte des Fachhandels möglich sein, sofern diese an den Außenwänden oder im Schaufenster angebracht ist. Ferner soll die Kinowerbung weiter eingeschränkt werden. Ein generelles Verbot von Tabakwerbung vor Filmen, bei denen Kinder und Jugendliche anwesend seien können, soll die bisher geltende zeitliche Beschränkung auf Filme nach 18.00 Uhr ablösen. Damit ist Werbung für Tabakwaren oder ähnliche Produkte nur noch bei Filmen ohne Jugendfreigabe möglich.

Stufenweises In-Kraft-Treten geplant

Die Tabakwirtschaft hat für beide Werbeträger bisher jährlich etwa 100 Millionen Euro aufgewendet, diese Einnahmen fehlen der Werbeindustrie künftig. Die Einschränkungen für Außenwerbung sollen stufenweisen in Kraft treten: ab dem 01.01.2022 für Tabakwaren, ab dem 01.01.2023 für Tabakerhitzer und ab dem 01.01.2024 für elektronische Zigaretten. Die veränderten Vorgaben für Kinowerbung und ein Verbot von Gratisproben soll schon zum 01.01.2021 gelten. Der Entwurf sieht zudem vor, nikotinfreie elektronische Zigaretten und Nachfüllbehälter den nikotinhaltigen Produkten gleichzusetzen.

Lob von Experten für Gesetzentwurf

Tobias Effertz, Privatdozent an der Universität Hamburg, lobte in seiner Stellungnahme zunächst die angestrebte Gesetzesänderung als "wichtigen, richtigen Schritt", der eine "schwerwiegende Lücke im Jugendschutz und in der Tabakkontrolle in Deutschland" schließe. Maßnahmen wie das Verbot der Außenwerbung für Tabakprodukte und E-Zigaretten sowie das grundsätzliche Verbot der Tabak- und E-Zigarettenwerbung vor Kinofilmen mit Altersfreigabe für Kinder und Jugendliche seien "geeignet und verhältnismäßig", die entsprechenden Gesetzesänderungen zudem verfassungskonform. Ähnlich positiv äußerte sich auch Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel.

Tabakwerbung als Risikofaktor für Jugendliche

Tabakwerbung gelte als eigenständiger Risikofaktor für den Beginn des Rauchens im Jugendalter, so Hanewinkel. Diverse wissenschaftliche Studien belegten einen kausalen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Tabakwerbung und dem späteren Beginn des Rauchens. Die geplanten Werbebeschränkungen für Tabakprodukte und E-Zigaretten seien deshalb ein "riesiger Schritt nach vorne".

Verbot auch von Promotion und Sponsoring gefordert

Laura Graen, Expertin für Menschenrechte und Tabakkontrolle, begrüßte den Gesetzentwurf zwar grundsätzlich. Allerdings handele es sich dabei insgesamt doch nur um ein "teilweises Verbot, das nur für Tabakaußenwerbung gilt und deshalb wenig wirksam ist", bemängelte die Sachverständige. "Schon jetzt machen Promotion und Sponsoring über 60% der Werbeausgaben der Tabakindustrie aus, fast 150 Millionen Euro im Jahr", so Graen. Es sei zu erwarten, dass die Ausgaben zukünftig sogar noch steigen. Besser sei daher ein umfassendes Verbot von Werbung, Promotion und Sponsoring, um Kinder und Jugendliche zu schützen, betonte sie und erinnerte unter anderem daran, dass Deutschland zahlreiche Menschrechtsabkommen ratifiziert habe, die "für Tabakkontrolle relevante Menschenrechte" anerkennen.

Kritik auch an spätem In-Kraft-Treten

Ebenso deutlich plädierte auch Ulrike Helbig, Leiterin der Koordinierungsstelle für Fragen der Gesundheits- und Forschungspolitik bei der Deutschen Krebshilfe, für ein vollumfängliches Tabakwerbeverbot. Es sei angesichts der Gefahren, die Rauchen für die Gesundheit bedeute, zudem "nicht nachvollziehbar", dass die Außenwerbebeschränkungen bei Tabakerhitzern und E-Zigaretten erst 2023 beziehungsweise 2024 in Kraft treten sollen. Auch diese Tabakerzeugnisse enthielten diverse giftige Stoffe, so Helbig.

Kritik an Übergangsregelungen

Die geplanten Übergangsregelungen im Koalitionsentwurf kritisierte auch die Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ute Mons. Dem Jugendschutz werde so bis 2024 de facto nicht Rechnung getragen. Die Übergangsregelungen sollten im Entwurf gestrichen werden. Wie auch ihre Vorrednerinnen empfahl die Expertin des DKFZ entsprechend dem Tabakrahmenübereinkommen der WHO ein umfassendes Werbeverbot. Begrenzte Verbote gäben der Tabakindustrie weiterhin die Möglichkeit, auf nicht-beschränkte Werbekanäle wie Sponsoring und Promotions auszuweichen. Die Beschränkung auf Außenwerbung am Verkaufsort sei ebenfalls nicht "zielführend". Damit bleibe im Stadtbild weiterhin Tabakwerbung sichtbar.

Anteil von Rauchern gesunken – Raucherquote bei 25%

Thomas Schulz vom Bundesinstitut für Risikobewertung wies daraufhin, dass der Anteil von Rauchern in Deutschland sinke. Diese Entwicklung sei unter anderem auf einen verbesserten Jugend- und Nichtraucherschutz, verschärfte Warnhinweise, gesundheitliche Aufklärung und bereits bestehende Werbeverbote insbesondere im Fernsehen zurückzuführen. Dennoch liege die Raucherquote mit etwa 25% in Deutschland deutlich höher als in vergleichbaren Industrieländern wie den Niederlanden oder Großbritannien, wo weitreichende Werbeverbote existierten. Nach Fortschritten der Regulierung von Zusatzstoffen folgten nun auch in Deutschland Fortschritte bei den Werbeverboten.

Umstieg auf risikoreduzierte Varianten befürwortet

Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie in Karlsruhe, begrüßte zwar grundsätzlich Werbeverbote für Tabakprodukte, betonte aber, dass eine "Gleichbehandlung von Verbrennungszigaretten und risikoreduzierten Varianten" wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer ein "falsches Signal" sende. Diese seien keineswegs risikolos, setzten aber 90% weniger Schadstoffe als normale Zigaretten frei. Ein Umstieg auf solche Produkte sei zu befürworten – "wenn die Alternative das Weiterrauchen ist". Und dies gelte für die allermeisten Raucher in Deutschland: Weniger als 20% der 17 Millionen Raucher probierten ernsthaft eine Entwöhnung, so der Mediziner, die anderen brauchten Hilfe – etwa in Form E-Zigaretten. Storck forderte trotz des berechtigten Interesses an Prävention im Hinblick auf Jugendliche, die Risikominimierung von erwachsenen Rauchern nicht außer Acht zu lassen.

Redaktion beck-aktuell, 1. Juli 2020.