In einer Anhörung im Innenausschuss trafen am Montag unterschiedlichste Meinungen zu der Frage aufeinander, ob der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten, wie ein Gesetzentwurf es vorsieht, für zwei Jahre ausgesetzt werden soll. Eine Familienzusammenführung in Härtefällen soll weiterhin möglich sein.
Einig waren sich die Sachverständigen nur in der Einschätzung, dass kein grundgesetzlicher Anspruch auf Familiennachzug bestehe. Umstritten war vor allem die Frage, ob die in § 22 AufenthG geregelten Einzelfallprüfungen eine ausreichende Härtefallregelung erlauben. Aus Sicht des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, des Deutschen Caritasverbandes und des International Refugee Assistance Projects ist das nicht der Fall.
Kommunalvertreter hingegen sprachen sich für den Gesetzentwurf aus. Er entlaste die Städte, Landkreise und Gemeinden. Für andere Sachverständige geht der Entwurf nicht weit genug im Hinblick auf die von der Bundesregierung angekündigte Migrationswende.
Genug Spielraum bei Härtefällen?
Kernkritikpunkt des Deutschen Caritasverbands ist die Ausgestaltung der Einzelfallabwägung. Diese sei unter den Voraussetzungen von § 22 AufenthG "bei weitem" nicht ausreichend, so Yana Gospodinova. Eine offene und einzelfallbezogene Abwägung in Härtefällen sei so nicht möglich. Die Vorschrift sei für hochgradige Einzelfälle konzipiert und habe sich bereits in der letzten Aussetzungsphase 2016 bis 2018 als völlig unzureichend für humanitäre Härtefälle erwiesen. Nötig sei eine Norm mit einem nachvollziehbaren Kriterienkatalog, die durch transparente Antragswege Verfahrenssicherheit schaffe, so Gospodinova.
Dieser Sicht folgte auch Corinna Ujkasević vom International Refugee Assistance Project. "Paragraf 22 wird nicht die Abhilfe schaffen, die sich viele erhoffen", so Ujkasević. Ein weiteres großes Problem sei, dass der Gesetzentwurf keine Stichtagsregelung vorsehe. Dadurch würden auch alle laufenden Verfahren betroffen. Die Betroffenen hätten aber wegen der überlangen Verfahrenszeiten bei den deutschen Botschaften schon mehrere Jahre gewartet.
Robert Seegmüller, Richter am BVerwG, hält den Entwurf indes für geeignet, "das mit ihm verfolgte Ziel der Zuwanderungsbegrenzung zu erreichen". Das Grundgesetz gewähre keine Ansprüche auf Einreise in das Bundesgebiet für Familienangehörige von hier lebenden subsidiär Schutzberechtigten. Auch das Unionsrecht stehe der Begrenzung der Zuwanderung nicht im Wege. Gleichwohl sollte erwogen werden, eine Übergangsregelung für Fälle in das Gesetz aufzunehmen, in denen Deutschland rechtskräftig zur "ermessensfehlerfreien Neubescheidung von Familiennachzugsbegehren verpflichtet worden ist".
Symbolpolitik statt echter Veränderung?
Professor Daniel Thym hält den Entwurf für geeignet, um die Überlastung von Kommunen abzuschwächen. Subsidiär Schutzberechtigte könnten ihre Familie auch dann nachholen, wenn sie selbst arbeitslos seien und keine Wohnung hätten. Daraus folge "ein Familiennachzug in die Sozialsysteme", urteilte er. Der Gesetzentwurf unterbinde dies und reagiere damit auf die Nöte der Kommunen. Privatdozent Roman Lehner von der Georg-August-Universität Göttingen sieht die Regelung für Härtefälle aus § 22 AufenthG als geeignet an und verwies dabei auf eine Entscheidung des BVerwG zum Kindesnachzug aus 2022.
Professor Hansjörg Huber hingegen bezeichnete die Aussetzung als "reine Symbolpolitik". Vor dem Hintergrund von zwei Millionen Asylanträgen von 1990 bis 2024 und vor der Tatsache, dass inzwischen über ein Prozent der afghanischen Bevölkerung (400.000 Menschen) in Deutschland lebe, erscheine die Aussetzung des Nachzugs mit jährlich 12.000 Menschen, "wie reine Symbolik ohne spürbare Abhilfe", sagte er.