Anhörung im Finanzausschuss: Experten streiten um "Sustainable Finance"

Vertreter von Wirtschaft und Finanzindustrie fordern von der Politik, auf dem Weg in eine von Nachhaltigkeitsgrundsätzen geprägte Finanzwirtschaft (Sustainable Finance) die Belange der Realwirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren. In der Anhörung des Finanzausschusses am 25.11.2019 haben die Experten vor zu viel Bürokratie und Überregulierung gewarnt. Das Gremium hat sich mit drei Anträgen der Oppositionsparteien zu diesem Thema befasst.

FDP und AfD gegen EU-Aktionsplan

Die AfD-Fraktion fordert mit ihrem Antrag (BT-Drs.: 19/14684), dass die Bundesregierung im EU-Rat Vorschläge der EU-Kommission zur Förderung nachhaltiger Finanzen (Sustainable Finance-Initiative) ablehnen soll. Das Konzept der EU sei unsolide und inkohärent, es schwäche die Wirtschaft und sei rechtlich nicht vertretbar. Das ganze Vorhaben sei "ideologisch motiviert". Die FDP-Fraktion (BT-Drs.: 19/14785) fordert die Bundesregierung ebenfalls auf, den EU-Aktionsplan in der derzeitigen Form abzulehnen und stattdessen Transparenz und Vielfalt zu schaffen. Das EU-Vorhaben sei aus ökonomischer Sicht unnötig oder kontraproduktiv. Mit der angestrebten verpflichtenden Taxonomie werde eine Bürokratie aufgebaut, deren Nutzen in keinem Verhältnis zum Aufwand und den Erfüllungskosten stehen würde. Es gebe auch keine konkrete allgemeingültige Definition von Nachhaltigkeit.

Grüne fordern nachhaltige Finanzwirtschaft

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs.:19/14219) fordert, den Finanzmarkt strikt auf Prinzipien der Nachhaltigkeit auszurichten. Der Finanzplatz Europa müsse zum Leitmarkt für Nachhaltigkeit werden. Zu den Forderungen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gehört, dass alle mit der Klimakrise in Zusammenhang stehenden Risiken im Risikomanagement aller Finanzmarktakteure angemessen berücksichtigt werden.

Nachhaltige Kapitalanlagen im Trend

Nachhaltige Kapitalanlagen liegen voll im Trend. So berichtete beispielsweise das Südwind-Institut für Ökonomie und Nachhaltigkeit in seiner Stellungnahme, dass inzwischen 4,5% oder 219 Milliarden Euro des in Deutschland angelegten Kapitals nachhaltig angelegt seien. Den "ganz starken Trend" bestätigte die Deutsche Bundesbank. Grüne Anleihen sind demnach eine zunehmend genutzte Refinanzierungsquelle. Ihr Volumen sei seit 2015 von 16,3 auf inzwischen 198 Milliarden Euro gestiegen.

Kfw stellt um

Die KfW Bankengruppe berichtete in der Anhörung, dass sie keine Kohlekraftwerke mehr finanziere. Die KfW wolle sich zu einer nachhaltigen und transformativen Förderbank weiterentwickeln. Die Deutsche Börse AG sieht Chancen, dass Europa eine Vorreiterrolle bei der Sustainable Finance spielen kann. Es gehe um eine zukunftsfähige Industrieproduktion und nicht um grüne Nischen.

Experten: Bewertungskriterien für Nachhaltigkeit unklar

Laut Professor Christian Klein (Universität Kassel) ist mehr Transparenz gut für den Kapitalmarkt und gut für die Verbraucher. Es sei gut, wenn wirtschaftliche Aktivitäten identifiziert werden könnten, die dazu beitragen könnten, den Temperaturanstieg aufzuhalten. Starke Bewertungen für Unternehmen bei Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken deuten nach Darstellung des Unternehmens "S&P Global" aber "nicht unbedingt auf eine starke Kreditwürdigkeit hin". Und wie Bewertungskriterien aussehen könnten, ist nach Angaben des Centrums für europäische Politik (cep) noch völlig unklar. Die EU habe den Anspruch, das, was nachhaltig sei, zu monopolisieren. Dabei werde vergessen, dass es kein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit gebe. So werde Atomstrom in Frankreich als nachhaltig angesehen, in Deutschland aber nicht. Das sei ein Problem für eine europäische Regulierung.

DIHK gegen weitere Regulierung

Für den Deutschen Industrie- und Handelskammertrag (DIHK) ist die Regulierung ohnehin schon zu stark. Es sei niemanden damit geholfen, wenn die Produktion woanders stattfinde, erklärte die Organisation mit Blick auf die wachsende Kurzarbeit und schlechte Auslastung in der Kraftfahrzeugbranche und dort besonders bei Zulieferbetrieben. Sustainable Finance könne in diesem Bereich zu Problemen führen, da das Finanzierungsvolumen verknappt werde. Sustainable Finance helfe nicht, sondern verschärfe die bestehenden Probleme. Für den Verband der Chemischen Industrie (VCI) ist es von "zentraler Bedeutung, dass die Definition nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten gleichrangig ökologische, soziale und auch ökonomische Aspekte berücksichtigt und die entsprechenden Wertschöpfungsketten einbezieht". Der VCI warnte davor, ganze Branchen pauschal als ökologisch negativ zu klassifizieren, weil damit auch Vorprodukte für als "grün" bezeichnete Produkte wie Solarpanels, Elektroautos oder Windkraftanlagen betroffen seien. Auch das Deutsche Aktieninstitut mahnte: "Nicht das Ausgrenzen, sondern das Einbinden der Realwirtschaft wird zum Erfolg führen." Durch die Brüsseler Taxonomie könnten ganze Industriezweige von der Finanzierung abgeschnitten werden. Auch der Investmentverband BVI sah eine "starke Tendenz zur Überregulierung". Regulatorische Vorgaben dürften den Unternehmen, die sich umstellen wollten, nicht die notwendige Finanzierung entziehen.

Sustainable Finance als "ökologische Wohlfühl-Illusion"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte mit Blick auf die in der Kfz-Branche bestehenden Probleme, man müsse "mit klaren Visionen" in die Debatte gehen und darlegen, wie die Transformation aussehen solle. Für Markus Krall (Degussa) steht fest, dass die Politik glaubt, das Problem planwirtschaftlich lösen zu können. Doch es sei eine historische Tatsache, dass die Planwirtschaft der Marktwirtschaft nicht überlegen sei. Sustainable Finance sei eine "ökologische Wohlfühl-Illusion" planwirtschaftlicher Steuerung und letztlich die Zündschnur, die zu einer neuen Finanzkrise führen werde.

Redaktion beck-aktuell, 26. November 2019.