Antrag der Linken auf Streichung des "Schwarzfahrens" aus dem StGB
Grundlage der öffentlichen Anhörung war ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Änderung des Strafgesetzbuchs (BT-DRs.: 20/2081). Darin spricht sich die Fraktion dafür aus, das Fahren ohne Ticket künftig nicht mehr als Straftat zu behandeln. Wie die Abgeordneten schreiben, sei die in § 265a StGB enthaltene Strafandrohung nicht verhältnismäßig und widerspreche der Funktion des Strafrechts als letztes Mittel. Es drohten Geldstrafen, bei Zahlungsunfähigkeit auch nicht selten Haft durch Ersatzfreiheitsstrafe, “obwohl beim Einsteigen in Bus oder Bahn eine Überwindung von Schutzvorrichtungen nicht erforderlich und damit die Entfaltung von 'krimineller Energie' nicht notwendig ist“.
BGH-Richterin will "normgetreues Verhalten möglich machen"
Insoweit es tatsächlich um Menschen geht, die sich die Tickets nicht leisten können, liege die Antwort nicht im Strafrecht, sondern in der Senkung der Fahrpreise oder der Ausgabe von Sozialtickets, sagte BGH-Richterin Angelika Allgayer. Ähnlich wie beim "Containern" solle man, anstatt unredliches und sozialschädliches Verhalten sanktionslos zu stellen, "normgetreues Verhalten möglich machen". Das sei die Aufgabe des Staates, so die auf Vorschlag der CDU/CSU -Fraktion eingeladene Expertin. Abgesehen davon ist aber ihrer Ansicht nach § 265a StGB beizubehalten. Betrugsnahes Verhalten gehöre ins Strafrecht, sagte sie.
Mehrere Experten fordern ersatzlose Streichung des § 265a StGB
Der Republikanische Anwälteverein sprach sich für die ersatzlose Streichung des Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch aus. Im Kern gehe es um einen zivilrechtlichen Konflikt, nicht um einen strafrechtlichen. Eine Umfunktionierung zu einer Ordnungswidrigkeit "als Kompromiss" sei nicht nur nicht erforderlich, sondern müsse abgelehnt werden. Das führe nur zu einer Verlagerung der Probleme, so der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige. Der Freiburger Universitätsprofessor Hefendehl hält die ersatzlose Streichung der Beförderungserschleichung als Strafbarkeitsalternative für "nicht nur kriminalpolitisch sinnvoll, sondern verfassungsrechtlich geboten". Das erhöhte Beförderungsentgelt sei einschneidend genug, so der auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladene Sachverständige.
Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit
Der Augsburger Universitätsprofessor Michael Kubiciel sieht keine zwingenden rechtlichen Gründe für eine Kriminalisierung des Erschleichens von Beförderungsleistungen. Ebenso wenig aber sei es aus normativen Gründen zwingend erforderlich, auf eine staatliche Sanktionierung der unberechtigten Inanspruchnahme von Beförderungsleistungen zu verzichten, sagte der auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladene Experte. Es handle sich um eine klassische kriminalpolitische Ermessensentscheidung. Kubiciel plädierte für die Herabstufung der einfachen Beförderungserschleichung zu einer Ordnungswidrigkeit.
"Im Kern ein soziales Problem"
Beförderungserschleichung sei im Kern ein soziales Problem, sagte ein Vertreter des Sozialdiensts Katholischer Männer in Köln. Es sei schwer vorstellbar, dass jemand, der in der Lage ist, ein Ticket zu kaufen, schlussendlich eine Ersatzfreiheitsstrafe antritt. Der auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladene Experte sprach sich für die Herausnahme des Schwarzfahrens aus dem Strafrecht und die Schaffung günstiger Ticketpreise aus. Aus Sicht von Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof, sprechen die besseren Argumente für die Entkriminalisierung des “einfachen Schwarzfahrens“. Eine Herabstufung solcher Handlungen zu Ordnungswidrigkeiten erscheine gegenüber der völligen Sanktionslosigkeit vorzugswürdig, befand der von der FDP-Fraktion benannte Sachverständige. Das sei auch eine Frage der Ressourcennutzung in der Strafjustiz. Als Bagatellunrecht lasse sich die Erschleichung der Beförderung im Ordnungswidrigkeitenrecht gut verorten.
Richterbund für eingeschränkte Strafbarkeit
Ali B. Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, sprach beim Schwarzfahren im Nahverkehr von Schäden im Bagatellbereich. Es bleibe unklar, worin das strafwürdige Unrecht in dieser Verhaltensweise liegen solle, sagte der auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladene Experte. Auf Zivilunrecht könne auch das Zivilrecht antworten. Eine zusätzliche strafrechtliche Bestrafung sei eine "unnötige Doppelbelastung". Der Deutsche Richterbund spricht sich dafür aus, die Beförderungserschleichung auf Fälle zu beschränken, in denen Kontrollmechanismen umgangen werden. Dies sei mit einer erhöhten kriminellen Energie verbunden, sodass die Straflosigkeit im Vergleich zu anderen Vermögensdelikten nicht sachgerecht erscheine, sagte dessen Vertreterin Jana Zapf. Ergänzt werden könne die Reform durch Sozialmaßnahmen, die bedürftigen Menschen die Teilnahme am ÖPNV ermöglichen, sagte die von der SPD-Fraktion benannte Expertin.