Rechtsausschuss: Experten üben viel Kritik am Gesetzentwurf zur Internet-Löschpflicht

Sachverständige haben das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz in einer Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 19.06.2016 sehr unterschiedlich beurteilt. Mit dem von der Bundesregierung (BT-Drs.:18/12727) und den Koalitionsfraktionen (BT-Drs.:18/12356) wortgleich eingebrachten Gesetzentwürfen soll die bereits jetzt bestehende Pflicht der Betreiber von Internet-Plattformen, offensichtlich rechtswidrige Inhalte zu löschen, wirksamer durchgesetzt werden. Die Kritiker halten die Regelungen teilweise für verfassungswidrig oder aber für wirkungslos.

Gesetz nimmt Plattformbetreiber in die Pflicht

Mit dem neuen Gesetz sollen die Plattformbetreiber verpflichtet werden, ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden vorzuhalten. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen demzufolge in der Regel innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde entfernt beziehungsweise gesperrt werden. Für Verstöße sieht der Gesetzentwurf Bußgelder bis zur Höhe von fünf Millionen Euro vor. Für den Umgang mit den deutschen Behörden und Gerichten müssen die Plattformbetreiber einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benennen.

DRB begrüßt leichtere Verfolgbarkeit strafbarer Äußerungen

In der Anhörung wurde der Gesetzentwurf sehr unterschiedlich beurteilt. Ulf Bornemann vom Deutschen Richterbund begrüßte das Vorhaben und insbesondere die vorgesehene Verpflichtung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Da die großen Plattformen in den USA säßen, müssten für die Verfolgung strafbarer Äußerungen im Internet regelmäßig Rechtshilfeersuchen gestellt werden. Deren Bearbeitung dauere oft viele Monate. Das Gesetz würde daher die Strafverfolgung erheblich erleichtern. Bornemann schlug vor, die Auskunftspflicht des Plattform-Betreibers noch mit einem Bußgeld zu bewehren.

Experte: Schnelle Weiterverbreitung der Postings lässt Löschfristen ins Leere laufen

Der Berliner Richter Ulf Buermeyer beurteilte dagegen die Löschpflichten als nachrangig. Die Löschfristen könnten nicht verhindern, dass sich die Postings in den Netzwerken sofort weiter verbreiteten. Niemand könnte daran gehindert werden, ein gelöschtes Posting immer wieder neu einzustellen.

Kritiker sehen unzulässigen Eingriff in Recht auf freie Meinungsäußerung

Als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung bewertete Martin Drechsler von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter den Gesetzentwurf. Er plädierte dafür, dem freiwilligen Vorgehen gegen Hass im Internet, wie es seine Organisation seit eineinhalb Jahren betreibe, einen gesetzlichen Rahmen zu geben und es so zu stärken. Dies habe sich im Jugendmedienschutz bewährt. Der Justiziar der gemeinsam von Bund und Ländern betriebenen Organisation jugendschutz.net, Holger Herzog, plädierte dagegen dafür, nur Zweifelsfälle an ein Selbstkontrollorgan auszulagern. Bei eindeutigen Rechtsverstößen sollte dagegen die Löschpflicht, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, beim Plattformbetreiber bleiben.

Datenschützer: Auskunftsrecht über Urheber eines Postings kann nach hinten losgehen

Der Mitarbeiter der Bundesdatenschutzbeauftragten, Diethelm Gerhold, bewertete den Gesetzentwurf generell positiv - mit einer wesentlichen Ausnahme. Der Gesetzentwurf sehe vor, dass Opfer von Hass-Postings Auskunft über den Urheber verlangen können. Dies ermögliche Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, warnte Gerhold. Er nannte das Beispiel eines Stalking-Opfers, das in einem Netzwerk den Stalker beschimpft. Dies könne dem Stalker einen Vorwand liefern, Auskunft über die Adresse seines Opfers zu verlangen.

Bitkom befürchtet "mehr Schaden als Nutzen"

Der Informations- und Medienrechtler Bernd Holznagel vermisst eine Regelung, dass gelöschte Inhalte wieder eingestellt werden müssen, wenn sie sich nach einer Prüfung als doch nicht rechtswidrig herausgestellt haben. Der Internet-Branchenverband Bitkom äußerte die Befürchtung, dass die Netzwerkbetreiber, um sicher zu gehen, auch rechtlich unbedenkliche Debattenbeiträge entfernen werden. Damit werde das Gesetz "mehr Schaden als Nutzen" anrichten.

Medienrechtler plädiert für "regulierte Selbstregulierung"

Vor nicht beabsichtigten Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit warnte auch Wolfgang Schulz, Medienrechtler am Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn die Netzwerke Algorithmen für die Entscheidung einsetzten, ob etwas zu löschen ist. Schulz riet, auf "regulierte Selbstregulierung" zu setzen, also einen rechtlichen Rahmen für die Selbstkontrolle. Sein Institut habe in einer europaweiten Untersuchung festgestellt, dass diese sehr effektiv sein könne, wenn sie richtig geregelt ist.

Redaktion beck-aktuell, 20. Juni 2017.

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