Anhörung: Experten fordern komplette Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche

Die geplante Änderung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche (BT-Drs. 19/7693) stieß bei den meisten Experten am 18.02.2019 in einer Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags auf Kritik. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst mit. Danach kritisierten die Experten § 219a StGB – auch in der geplanten korrigierten Form – überwiegend als verfassungswidrig und gesellschaftlich überholt und forderten dessen komplette Abschaffung.

Entwurf: § 219a StGB soll um weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden

Hintergrund ist das Verbot der Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch in § 219a StGB, nach dem auch die Information darüber strafbar sein kann. Laut Entwurf soll der Paragraf um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden. Danach dürfen Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen zukünftig auch öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a StGB durchführen. Sie sollen darüber hinaus weitere Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch durch Verweis auf entsprechende Informationsangebote neutraler Stellen zugänglich machen dürfen. Das Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch soll erhalten bleiben, um das Rechtsgut des ungeborenen Lebens zu schützen.

Kasseler Gynäkologin Szász: Entwurf hinkt gesellschaftlichen Realitäten hinterher

Die wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB angezeigte Kasseler Gynäkologin Nora Szász meinte, dass die Gesetzesreform mit der Prämisse des Erhalts des § 219a StGB gesellschaftliche Realitäten rund um Frauengesundheit und frauenärztliche Tätigkeit nicht berücksichtige und dabei wesentliche Grundrechte missachte. Zwar seien die Ziele - Verbesserung der Information für Frauen und Rechtssicherheit für Ärzte - grundsätzlich zu begrüßen. Der vorliegende Entwurf könne diese Ziele aber nicht erreichen. In den zentralen Punkten hinke er gesellschaftlichen Realitäten hinterher.

Bad Aiblinger Frauenarzt befürchtet bei Komplettstreichung Wettbewerb um beste Werbung

Dagegen bezeichnete der Frauenarzt Wolfgang Vorhoff aus Bad Aibling den Gesetzentwurf als ausgewogen und meinte, er werde die Informationen für ungewollt Schwangere verbessern. Ohnehin verstehe er als mit der Beratung befasster Arzt die Diskussion um den § 219a StGB nicht, denn Schwangere könnten sich in der heutigen Zeit sehr wohl zeitgemäß und sachgerecht über den Ort, den Arzt und die Methoden des Schwangerschaftsabbruches informieren. Eine komplette Abschaffung des Werbeverbotes wird Vorhoff zufolge zu einem Wettbewerb um die beste Werbung für die jeweilige einen Schwangerschaftsabbruch durchführende Institution führen.

Szász und Vorhoff  fordern besseren Schutz von Berufskollegen

Beide Ärzte betonten die Notwendigkeit eines besseren Schutzes von Berufskollegen, die Abtreibungen vornehmen. Diese dürften nicht länger stigmatisiert werden. Um die Frage des Schutzes der Ärzte durch den Staat bewegten sich auch viele Fragen der Abgeordneten, die sich darüber hinaus vor allem für eine klare Definition des in Frage stehenden Rechtsguts und die Möglichkeiten der vom Gesetzgeber vorgesehen Informationspraxis interessierten.

Strafrechtsprofessor Kubiciel: Entwurf beseitigt Informationsdefizite und schafft Rechtssicherheit für Ärzte

Der Rechtswissenschaftler Michael Kubiciel von der Universität Augsburg lehnte eine ersatzlose Streichung des § 219a StGB ab. Der Entwurf der Koalition stelle die deutlich vorzugswürdige Alternative dar, führte der Strafrechtsprofessor in seiner Stellungnahme aus. Er beseitige Informationsdefizite und sorge für eine einheitliche, qualitativ hochwertige Information auf den Internetseiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie anderer Institutionen und auf der Homepage von Ärzten und Krankenhäusern, die dazu lediglich eine Verlinkung herstellen müssten. Zudem verschaffe er Ärzten die lange geforderte Rechtssicherheit. Den Klagen selbst- und sogenannter Lebensschützer sei damit endgültig die Basis entzogen. Auch in rechtspolitischer Hinsicht sei der Entwurf zu begrüßen, da er einen ideologisch aufgeladenen und parteipolitisch hart umkämpften Streit beende. Er sehe jedoch einen "Optimierungsauftrag" für den Gesetzgeber.

Strafrechtsprofessor Merkel: § 219a StGB auch nach geplanter Korrektur verfassungswidrig

Eine gänzlich andere Auffassung vertrat Reinhard Merkel von der Universität Hamburg. Da Werbung weiter strafbedroht sein soll, könne der mit dem Entwurf nur unzulänglich korrigierte § 219a StGB vor der Verfassung weiterhin keinen Bestand haben. Er finde es befremdlich, sagte der Strafrechtsprofessor, dass in der rechtspolitischen Diskussion das Problem des § 219a StGB offenbar allein unter dem Gesichtspunkt wahrgenommen und erörtert werde, ob sich Frauen hinreichend informieren können - und nicht unter dem offensichtlich vorrangigen, nämlich, was der Staat legitimerweise mit Strafe bedrohen darf. Die geplante Gesetzesänderung führe zu großen rechtsstaatlichen Ungereimtheiten und sei nicht akzeptabel.

Professorin für Familienplanung: § 219a StGB gesellschaftlich überholt

Ulrike Busch vom Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg hält den Gesetzentwurf für ungeeignet, um die Information über den Schwangerschaftsabbruch wirksam zu verbessern. Nach wie vor blieben die Informationsrechte von Frauen und Ärzten strafrechtlich limitiert, sagte die Professorin für Familienplanung. Der Entwurf betrachte weiterführende sachliche Information durch Ärzte als Straftatbestand, dieselbe Information auf der Liste beziehungsweise den Verweis auf der ärztlichen Homepage darauf aber nicht. Er sei Ärzten gegenüber diskreditierend und von Misstrauen geprägt. Aus ideologischen Gründen und letztlich auch parteipolitischen Erwägungen werde an einem verzichtbaren und gesellschaftlich überholten Paragrafen festgehalten.

Strafrechtsprofessorin Hoven: Weiterhin Kriminalisierung von Handlungen ohne Unrechtsgehalt

Elisa Marie Hoven von der Universität Leipzig sagte, der Gesetzentwurf stelle zwar eine Verbesserung der Informationslage dar, löse aber nicht das grundsätzliche Problem des § 219a StGB. Durch die fortgeltende Kriminalisierung sachlicher Information würden weiterhin Handlungen unter Strafe gestellt, die keinen Unrechtsgehalt aufweisen. Inhalte, die auf den Homepages von Ärztekammern oder Beratungsstellen zulässig und erwünscht sind, könnten nicht dadurch Gegenstand eines strafrechtlichen Vorwurfs werden, dass sie im Namen von Ärzten verbreitet werden, sagte die Strafrechtsprofessorin. Das Verbot lasse sich auch nicht mit der Annahme begründen, dass Ärzte im Einzelfall die Grenze zur anpreisenden Werbung überschreiten könnten, denn dies sei ohnehin mit Sanktionen verbunden.

Juristinnenbund kritisiert § 219a StGB als "rechtsdogmatisch groben Unfug"

Der Deutsche Juristinnenbund begrüße grundsätzlich, dass die Bundesregierung die andauernde Rechtsunsicherheit für Ärzte sowie ungewollt schwangere Frauen beseitigen möchte, sagte dessen Vertreterin Ulrike Lembke. Die im Entwurf vorgesehenen Änderungen könnten aber die verfassungsrechtlichen Mängel der Regelung in § 219a StGB nicht beseitigen, sagte die Vorsitzende des Arbeitsstabs Reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte. Er sei "rechtsdogmatisch grober Unfug" und ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit. Zudem könne er zu einer Verschlechterung der Versorgungslage führen. Der Juristinnenbund fordere daher die Streichung des Paragrafen. Stattdessen solle ein Ordnungswidrigkeitentatbestand im Schwangerschaftskonfliktgesetz geschaffen werden.

Sozialdienst katholischer Frauen lobt Entwurf als guten Kompromiss zum Lebensschutz

Nadine Mersch, Leiterin der Stabsstelle Sozialpolitik beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), betonte in ihrer Stellungnahme, § 219a StGB könne nicht aufgegeben werden, ohne die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Lebensschutz zu unterlaufen und die Gesamtstatik der gesetzlichen Lösung zu gefährden. Der SkF sei erleichtert, dass die Fraktionen von CDU/ CSU und SPD mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen Kompromiss gefunden haben, mit dem unter Beibehaltung des Werbeverbotes vorhandene Informationslücken geschlossen werden können und mehr Rechtssicherheit für Ärzte und Kliniken erreicht wird. Damit komme der Staat seiner Pflicht und Verantwortung nach, das Schutzkonzept für das ungeborene Leben zu bewahren und gleichzeitig Frauen in Not- und Konfliktsituationen die angemessenen Informationen für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung zu stellen.

Redaktion beck-aktuell, 19. Februar 2019.

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