Die Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Unionsfraktion über eine gemeinsame Lösung in der Migrations-Debatte sind am Dienstag ergebnislos zu Ende gegangen. Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte die Gespräche am Abend für gescheitert. Die Koalition sehe sich offensichtlich nicht zu umfassenden Zurückweisungen an den deutschen Staatsgrenzen in der Lage, so der CDU-Vorsitzende in Berlin. "Damit ist der Versuch gescheitert, einen gemeinsamen Weg zu gehen."
Die Ampel-Fraktionen sind sich untereinander einig, dass Menschen, die Asyl beantragen, künftig schneller in die für sie zuständigen europäischen Staaten gebracht werden sollen. Nach der Dublin-III-Verordnung ist jener Staat für das Asylverfahren der Geflüchteten verantwortlich, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten haben. Über die konkrete Umsetzung dieses Vorhabens ist man jedoch uneins.
Faeser will schnellere Rückführung nach Dublin-Regeln
Aus Regierungskreisen heißt es, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) habe in den Gesprächen vorgeschlagen, die Bundespolizei solle in Zukunft bei unerlaubten Einreisen Befragungen mit den Geflüchteten führen und prüfen, ob womöglich ein anderer Mitgliedsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein könnte. Dabei könne laut Faeser auch auf die Identifizierungs-Datenbank Eurodac zurückgegriffen werden. Der Vorschlag sieht weiter vor, dass die Bundespolizei im Fall einer anderen Zuständigkeit beim zuständigen Gericht Haft wegen Fluchtgefahr beantragen könne, sofern Haftkapazitäten zur Verfügung stünden. "Hier ist ein schnelles Handeln der Justiz der Länder erforderlich. Auch müssen die Haftplätze der Länder in ausreichender Anzahl, möglichst in Grenznähe entlang der Migrationsrouten, vorhanden sein", hieß es.
Es gibt in Deutschland 800 Abschiebehaftplätze, nach bisheriger Einschätzung von Nancy Faeser ist das zu wenig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll dann ein beschleunigtes Verfahren zur Rückübernahme durch das zuständige Land nach den Dublin-Regeln einleiten, so der Vorschlag. "Alternativ soll eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage vorgesehen werden, wenn Haft nicht in Betracht kommt", hieß es weiter aus Regierungskreisen.
Auch der Bundespolizei soll eine größere Rolle zugewiesen werden. Neben der intensiveren Identitätsprüfung an den Grenzen sehen die bisher geführten Gespräche auch vor, dass die Bundespolizei die Menschen am Ende des geplanten beschleunigten Verfahrens aus Deutschland herausbringt. Bisher liegen Abschiebungen in der Verantwortung der Länder, die Bundespolizei unterstützt nur bei der Durchführung.
Union fordert Zurückweisungen an der Grenze
Einig waren sich Ampel und Union insofern, dass man weiter auf ein "enges kooperatives Zusammenwirken mit den Nachbarstaaten" setze, wie es aus Gesprächskreisen zwischenzeitlich hieß. Dies werde etwa über gemeinsame Streifen und Polizeizentren an den Grenzen umgesetzt.
Bei der Thematik der Grenzzurückweisungen entzündete sich jedoch Zwist. Die Union machte bereits nach einem ersten Treffen in der vergangenen Woche zur Bedingung für eine weitere Sitzung, über umfassende Zurückweisungen an den Grenzen zu sprechen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte dazu, man habe Ministerin Faeser "deutlich gemacht, was (…) notwendig ist, um in ein solches Gespräch zu gehen". Die Forderung Freis blieb aus CDU-Sicht unerfüllt: Die Regierungsparteien hätten "keinen Vorschlag unterbreitet, der tatsächlich zu Zurückweisungen an der Grenze über das bisher übliche Maß hinaus führt", kommentierte Frei das Spitzengespräch.
Man habe festgestellt, dass es eine "andere Migrationspolitik" brauche und es an dieser Stelle "keine Gemeinsamkeit" mit der Ampel gebe. Man behalte sich jedoch vor, die Vorschläge der Ampel gegebenenfalls zu unterstützen, sollten diese in den parlamentarischen Prozess eingebracht werden, so Frei zunächst. Sie seien immerhin eine Verbesserung des Status Quo.
Justizminister Buschmann hält Zurückweisungen nicht für effektiv
Marco Buschmann (FDP) sagte am Dienstag, das Festhalten der Menschen im grenznahen Raum sei effektiver als ein Zurückschieben über die grüne Grenze, wo damit zu rechnen sei, dass die Zurückgeschobenen an anderer Stelle einen weiteren Einreiseversuch unternehmen würden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte, die Unionsvertreter seien "aufgestanden, obwohl wir viele Themen noch gar nicht besprochen haben".
Die Union hatte eine Notlage ausrufen wollen unter Berufung auf Artikel 72 EUV, um von normalen europäischen Verfahren abweichen zu können. Nach Einschätzung der Ampel-Koalition fehlt dafür die rechtliche Grundlage.
Seit Oktober sind laut Bundesinnenministerium mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen worden. Mitte Oktober 2023 hatte Faeser stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es solche Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, bereits seit September 2015. Die neu angeordneten Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.
Verschärft hatte sich die Debatte um irreguläre Migration und Abschiebungen auch aufgrund von mehreren Gewalttaten. In Solingen waren bei einem mutmaßlich islamistischen Messerattentat auf einem Stadtfest im August drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Ein 26-jähriger Syrer sitzt wegen der Tat in Untersuchungshaft.