Ein Anwalt hatte in zwei Fällen (2012 und 2016) von einer Rechtsschutzversicherung Zahlungen erhalten, später vom Prozessgegner bzw. vom Gericht geleistete Kostenerstattungen aber nicht an die Versicherung weitergeleitet, sondern mit seiner Honorarforderung gegenüber seinem Mandanten verrechnet. Deshalb wurde ihm vorgeworfen, seine Berufspflicht, fremde Gelder unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten, verletzt zu haben (§ 43a Abs. 7 S. 2 BRAO). Das AnwG verneinte das jedoch und sprach den Anwalt frei.
Die dagegen von der Generalstaatsanwaltschaft angestrengte Berufung hatte beim AGH Hamburg keinen Erfolg (Urteil vom 08.11.2023 - AGH I EVY 4/2023). Anders als das AnwG sah der AGH allerdings die Weiterleitungspflicht des Anwalts aus § 43 Abs. 7 S. 2 BRAO objektiv verletzt. Denn diese beziehe sich nicht nur auf Mandantengelder, sondern erfasse auch der Rechtsschutzversicherung zustehendes Fremdgeld. Der AGH verweist dabei auf den Wortlaut sowie den Zweck der Regelung, "das allgemeine Vertrauen in die Korrektheit und Integrität der Anwaltschaft in allen finanziellen Fragen und damit zugleich die Funktion der Anwaltschaft in der Rechtspflege" zu schützen.
Rechtslage zum damaligen Zeitpunkt unklar
Das Geld aus der Kostenerstattung habe der Rechtsschutzversicherung auch zugestanden, nachdem der Anspruch des Mandanten aus §§ 675, 667 BGB nach § 86 VVG auf sie übergegangen sei. Ein Quotenvorrecht könne der Mandant nicht geltend machen. Da der Anwalt von dem Übergang des Anspruchs auf die Versicherung gewusst habe (§ 407 Abs. 1 BGB), sei seine Aufrechnung nicht wirksam gewesen.
Laut AGH befand sich der Anwalt aber in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Denn zum Zeitpunkt der Aufrechnung sei noch unklar gewesen, ob ein Anwalt Kostenerstattungen vom Gericht und vom Prozessgegner behalten und mit eigenen Honorarforderungen gegen seinen Mandanten verrechnen darf. Klärende BGH-Rechtsprechung habe es erst später gegeben.