AG Sonthofen: Allgäuer Pfarrer muss für Gewährung von Kirchenasyl Geldauflage zahlen

Ein freundlicher junger Mann, der gut Deutsch spricht, im Verein Fußball spielt, eine Verlobte hat und im Leben vorankommen will – warum sollte man so einen abschieben? Das dachte sich auch die evangelische Kirchengemeinde Immenstadt im Oberallgäu. Als der Afghane im Mai 2018 aus Angst vor Abschiebung vor der Tür stand, gewährte ihm Pfarrer Ulrich Gampert Kirchenasyl. Eine klare Sache für den 64-Jährigen – für die Behörden jedoch eine Straftat.

Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld

Wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt musste sich der Geistliche am 18.09.2019 vor dem Amtsgericht Sonthofen verantworten. Ein rechtlich komplizierter Fall – der für den Pfarrer und den ebenfalls angeklagten Flüchtling mit der Einstellung des Verfahrens endete, wegen geringer Schuld.

Richterin verwies auf fehlende gesetzliche Regelungen

"Das ist eigentlich ein juristisches Nirwana, in dem wir uns bewegen", sagte Amtsrichterin Brigitte Gramatte-Dresse und verwies auf fehlende gesetzliche Regelungen. Eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Kirchenasyls gebe es nicht. "Kirchenasyl ist eine Tradition", sagte die Juristin. Um die zu beurteilen, sei eine Güterabwägung notwendig, als Entscheidung im Einzelfall. Sie sei aber überzeugt, dass sich der Pfarrer und der Flüchtling beide strafbar gemacht hätten – wenngleich ihre Schuld sehr gering sei. Gampert muss deshalb 3.000 Euro zahlen. Sein Schützling wurde zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verpflichtet.

Kirchenasyl sollte Überprüfung ermöglichen

Der junge Mann war im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen. Die Behörden lehnten seinen Asylantrag ab und wollten ihn im Frühjahr 2018 in die afghanische Hauptstadt Kabul abschieben. Die Flüge mussten jedoch storniert werden, weil der Flüchtling beide Male nicht auffindbar war. Als er Hilfe bei der Kirchengemeinde in Immenstadt suchte, sahen die Verantwortlichen durchaus noch Chancen, ihm juristisch zu helfen. Mit dem Schutz der Kirche wollten sie ihm die Möglichkeit geben, rechtliche Schritte einzuleiten. "Kirchenasyl ist die Möglichkeit, den Staat zu bitten, schaut noch mal hin bei dieser Person, da ist was übersehen worden", erklärte Gampert. "Wenn man das berücksichtigt, kommt es hoffentlich zu einer anderen Entscheidung."

Staatsanwaltschaft wertete Vorgänge anders

Die Kemptener Staatsanwaltschaft wertete die Vorgänge anders. Der 23-Jährige besitze keinerlei Aufenthaltserlaubnis, so die Anklage. Mit der Aufnahme ins Kirchenasyl habe er sich der Abschiebung entziehen wollen. Der Pfarrer habe diesen illegalen Aufenthalt wissentlich begünstigt und weitere Abschiebeversuche verhindert. Die Folge: Strafbefehle. Da beide Einspruch einlegten, kam es zum Prozess.

Afghane ist gut integriert

Wie es mit dem 23-Jährigen weitergeht, ist unklar. Eine Klage gegen den ablehnenden Asylfolgeantrag läuft. Der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags setzte zudem seine Abschiebung für sechs Monate bis Anfang 2020 aus. Seitdem ist er auch nicht mehr im Kirchenasyl und darf sich frei bewegen, ohne Angst vor einer Abschiebung. Mit der Entscheidung ist er zufrieden: "Ich wünsche mir nur, dass ich bald ein normales Leben anfangen kann." Einen Schulabschluss hat er in der Tasche, seit September macht er in einem Möbelhaus eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Und er will heiraten. "Wenn wir alle Papiere zusammenhaben, würden wir am liebsten sofort ins Standesamt gehen", verrät seine Verlobte.

Kirche wünscht sich grundsätzliche Klärung

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist froh über den Ausgang des Verfahrens. Aber: "Als Landeskirche hätten wir gerne eine grundsätzliche Klärung bekommen", sagte Oberkirchenrat Michael Martin. Vorerst will Pfarrer Gampert vorsichtiger sein, wenn an ihn und den Kirchenvorstand seiner Gemeinde wieder eine Bitte um Unterschlupf herangetragen wird. Anders sei es, wenn ein Leben bedroht sei. "Dann hoffe ich, dass wir wieder so entscheiden werden."

AG Sonthofen, Entscheidung vom 18.09.2019

Redaktion beck-aktuell, Cordula Dieckmann, 19. September 2019 (dpa).

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