Nach Vor­wurf fin­gier­ten Mord­ver­suchs: Frei­spruch für Au­to­fah­rer

Ein von vorne bis hin­ten vor­ge­täusch­ter Mord­ver­such an sich selbst? Oder doch Un­be­kann­te oder be­trun­ke­ne Ju­gend­li­che, dar­un­ter ein Michi, die einen 28 Ki­lo­gramm schwe­ren Klotz auf ein Auto im Müns­ter­land war­fen? Vor dem Amts­ge­richt im west­fä­li­schen Beck­um gab es am Diens­tag am ers­ten Pro­zess­tag die über­ra­schen­de Ant­wort. Der wegen Vor­täu­schen einer Straf­tat an­ge­klag­te 59-Jäh­ri­ge wurde frei­ge­spro­chen. Beim An­ge­klag­ten und sei­ner Frau flos­sen im Ge­richts­saal die Trä­nen. Das AG hatte ur­sprüng­lich bis zum 8. No­vem­ber noch zwei wei­te­re Ver­hand­lungs­ter­mi­ne an­ge­setzt.

Nach Be­weis­auf­nah­me er­heb­li­che Zwei­fel an Vor­wür­fen

Die waren aber nicht mehr nötig. Nach der Be­weis­auf­nah­me am ers­ten Ver­hand­lungs­tag kamen er­heb­li­che Zwei­fel an den Vor­wür­fen auf. Neben Pan­nen bei der DNA-Aus­wer­tung sagte eine Zeu­gin erst­mals aus, dass sie ein wich­ti­ges Be­weis­stück auch mit den Hän­den an­ge­fasst habe. Davon war bis­lang in den Er­mitt­lungs­ak­ten nie die Rede ge­we­sen.

Aus­wer­tung der Funk­zel­le bringt keine ein­deu­ti­ge Klä­rung

Ein Po­li­zist re­la­ti­vier­te die Be­las­tung des An­ge­klag­ten durch die Aus­wer­tung der Funk­zel­le. Laut An­kla­ge soll er län­ger am Tat­ort ge­we­sen sein, als der Au­to­fah­rer ge­gen­über den Er­mitt­lern an­ge­ge­ben hatte. Der Ex­per­te für die Aus­wer­tung der Daten im Po­li­zei­prä­si­di­um Müns­ter er­klär­te je­doch, dass der Ra­di­us des Funk­masts mög­li­cher­wei­se viel grö­ßer ge­we­sen sein könn­te. 30 Mi­nu­ten vor dem Klot­z­wurf konn­te der An­ge­klag­te somit auch noch wei­ter ent­fernt ge­we­sen sein. Nach sei­nen An­ga­ben war er auf dem Rück­weg von Hamm nach Wa­ders­loh.

Auch Staats­an­walt­schaft für Frei­spruch

"Ich konn­te nicht er­ken­nen, dass er ge­täuscht hatte", sagte Rich­ter Da­ni­el Be­th­ge in sei­ner Ur­teils­be­grün­dung. Auch die Staats­an­wäl­tin hatte auf Frei­spruch plä­diert, eben­so der Ver­tei­di­ger des Au­to­fah­rers. So­wohl Rich­ter als auch die Ver­tre­te­rin der An­kla­ge wie­sen al­ler­dings auf die vie­len Un­ge­reimt­hei­ten hin. Die auf­zu­klä­ren sei aber nicht Auf­ga­be des An­ge­klag­ten. Laut Be­th­ge pass­ten ver­schie­de­ne er­mit­tel­te Spu­ren nicht zu dem Vor­wurf, dass die ganze Ge­schich­te er­fun­den ge­we­sen sein soll. Auch fehl­te dem Rich­ter das Motiv. Warum soll­te der 59-Jäh­ri­ge das alles in­sze­niert haben?

"Michi, hau ab"-Ruf bringt Kripo ins Spiel

Haupt­be­las­tungs­vor­wurf der Er­mitt­ler war ein Ex­per­ten­gut­ach­ten. Der Ex­per­te hatte nach­ge­wie­sen, dass der 28 Ki­lo­gramm schwe­re Fuß einer Warn­ba­ke bei den Spu­ren am Un­fall­au­to nicht, wie be­haup­tet, von einer fünf Meter hohen Brü­cke ge­flo­gen sein konn­te. Al­ler­dings war am Ende nicht ein­mal klar, ob die Barke selbst über­haupt das Auto traf. Für die Po­li­zei stell­te sich der ganze Fall auf einer Stra­ße im Kreis Wa­ren­dorf an­fangs als Un­fall dar. Ein Au­to­fah­rer war, nach ei­ge­nen Wor­ten ge­schockt, auf einem Acker ge­lan­det. Den Be­am­ten sagte er, dass je­mand von einer Brü­cke den Fuß einer Warn­ba­ke auf sein Auto ge­wor­fen habe. Einer soll "Michi, hau ab", ge­ru­fen haben. Plötz­lich war es ein Fall für die Mord­kom­mis­si­on bei der Po­li­zei in Müns­ter.

Rat­lo­se Er­mitt­ler und viel ver­lo­re­ne Zeit

Der Lei­ter der Mord­kom­mis­si­on sagte am ers­ten Pro­zess­tag, dass diese Un­be­kann­ten lange ver­geb­lich ge­sucht wor­den seien. Auch sei viel Zeit in­ves­tiert wor­den, um den Fall in der ZDF-Fahn­dungs­sen­dung "Ak­ten­zei­chen XY... un­ge­löst" prä­sen­tie­ren zu kön­nen. Alles er­folg­los. Die DNA-Spu­ren am Brü­cken­ge­län­der, eine zer­bro­che­ne Schnaps­fla­sche und der Klotz brach­ten keine Tref­fer. Die Er­mitt­ler waren rat­los.

Neuer Tat­ort und eine DNA-Spur

Dann die Wende. Es gab er­neut einen Tat­ort. Die Po­li­zei wurde er­neut von dem Mann ge­ru­fen. Auf sei­nem Pri­vat­grund­stück wurde sein Wohn­mo­bil be­schä­digt und eine Bot­schaft auf einer Folie hin­ter­las­sen: "Es reicht jetzt, hört auf zu su­chen."  Alle DNA-Spu­ren von 26 Per­so­nen hat­ten bis zu die­sem Zeit­punkt kei­nen Tref­fer er­bracht. Ganz im Ge­gen­teil. Ver­mut­lich durch ver­un­rei­nig­te Spu­ren tauch­te plötz­lich eine DNA-Spur von einem Se­xu­al­de­likt aus Dort­mund auf. Kopf­schüt­teln über die of­fen­bar ver­un­rei­nig­ten DNA-Pro­ben gab es auch bei Rich­ter Da­ni­el Be­th­ge am Diens­tag. Nach den Spu­ren am zwei­ten Tat­ort muss­te auch die Fa­mi­lie des An­ge­klag­ten DNA-Pro­ben ab­ge­ben. Und jetzt ver­mel­de­te ein Ex­per­te des Lan­des­kri­mi­nal­am­tes auch einen Tref­fer mit den Fun­den von der Brü­cke. Der nun Frei­ge­spro­che­ne wurde aus Sicht der Er­mitt­ler vom mut­ma­ß­li­chen Opfer zum mut­ma­ß­li­chen Täter.

Glück­li­ches Ende für An­ge­klag­ten

Der 59-Jäh­ri­ge be­stritt aber alle Vor­wür­fe und blieb bei sei­nen Aus­sa­gen. Die Staats­an­walt­schaft warf dem der­zeit Ar­beits­lo­sen das Vor­täu­schen eines Mord­ver­suchs und Be­trug an der Op­fer­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Weis­ser Ring vor – ihm waren 4.000 Euro Ent­schä­di­gung aus­ge­zahlt wor­den. Am Ende folg­te nach al­le­dem aber nun der Frei­spruch.

AG Beckum, Urteil vom 18.10.2022 - 15 Ds 64/21

Gitta Kharraz, Carsten Linnhoff, 19. Oktober 2022 (dpa).

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