Die Bundesregierung plant, den im Straßenverkehr einheitlich geltenden gesetzlichen THC-Grenzwert von 1,0 Nanogramm pro Milliliter auf 3,5 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum zu erhöhen. Dafür soll das Straßenverkehrsgesetz geändert werden. Ziel ist es laut Koalition im Wesentlichen, die Empfehlungen der unabhängigen und interdisziplinären Expertenarbeitsgruppe zur Ermittlung eines Grenzwerts umzusetzen.
Zustimmung von Expertinnen und Experten
Der Vorsitzende dieser Grenzwertkommission und Leiter der Abteilung Forensische Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, Stefan Tönnes, begrüßt dieses Vorhaben. Es sei notwendig zur Vermeidung unangemessener Sanktionen. Der von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Grenzwert sei ausreichend und so niedrig, "dass das mögliche Vorliegen verkehrssicherheitsrelevanter Beeinträchtigungen im Sinne eines abstrakten Gefährdungsdeliktes erfasst und sanktioniert wird", so Tönnes.
Auch ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand hält den vorgeschlagenen Wert für plausibel. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Verkehrssicherheit dadurch beeinträchtigt würden. Der alte Grenzwert von 1 ng/ml habe insbesondere bei Gewohnheitskonsumentinnen und -konsumenten zu viele falsch positive Ergebnisse gebracht – das heißt, es wird zwar Cannabiskonsum nachgewiesen, eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ist jedoch nicht mehr gegeben. Diese Ansicht teilt Lorenz Böllinger, Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis. Die Zahl der falsch positiven Tests werde reduziert, ohne die Verkehrssicherheit relevant zu gefährden.
Auch Ingo Koßmann, Leiter der Abteilung Verhalten und Sicherheit im Verkehr bei der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), spricht sich für die geplante Änderung aus. Bei 3,5 ng/ml setze man bereits bei den ersten Leistungseinbußen an und liege noch weit unterhalb der Schwelle von 7 ng/ml THC, bei welcher von einem allgemeinen Unfallrisiko ausgegangen werden könne.
Fabian Steinmetz, Senior-Toxikologe bei Delphic HSE und ebenfalls Mitglied im Expertennetzwerk Schildower Kreis, kritisierte eine Ungleichbehandlung von Cannabis und Alkohol. Steinmetz plädierte gar für einen THC-Grenzwert von 10 ng/ml als Pendant zur 0,5 Promille-Grenze bei Alkohol.
Kritik aus der deutschen Polizeigewerkschaft
Polizeirat Marco Schäler, Geschäftsführer der Kommission Verkehr bei der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), kritisiert die Erhöhung unter anderem wegen Umsetzungsproblemen. So sei die empfohlene Verwendung von Speicheltests kostenintensiv. Zwei unterschiedliche Testversionen würden erhebliche Kosten für die Länder verursachen. Für Polizistinnen und Polizisten sei der Grenzwert von 1,0 ng/ml THC "maßvoll und hochvalide". Aus diesen Gründen habe sich auch der polizeiliche Vertreter in der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzten Expertengruppe gegen eine Anhebung des Grenzwertes ausgesprochen, heißt es in der Stellungnahme der DPolG.
Frank Mußhoff, Geschäftsführer der Forensisch Toxikologisches Centrum GmbH München (FTC), hält die Erhöhung des THC-Grenzwertes im Straßenverkehr zeitgleich mit einer Teillegalisierung für schädlich, "da es zu einer Bagatellisierung der Wirkung kommt". Um eine Gefährdung auszuschließen, müsse man sich beim Grenzwert an einem "ungewöhnt isolierten Konsumenten" orientieren, nicht an regelmäßigen Gewohnheitskonsumentinnen und -konsumenten.
Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), betonte die große Bedeutung eines gesetzlichen festgeschriebenen Grenzwertes für die Versicherungswirtschaft. Den geplanten neuen Grenzwert wolle sie nicht bewerten – richtig sei es aus ihrer Sicht aber, bei Fahranfängerinnen und -anfängern, wie bei Alkohol, auch bei Cannabis einen "Null-THC" Wert vorzugeben.