Abgas-Skandal: VW-Diesel Besitzer will mit “Musterklage“ Rückzahlung des Kaufpreises erreichen

Der Besitzer eines Eos-Coupés verklagt VW wegen des Dieselskandals auf Rückzahlung des Kaufpreises. Ziel der am 03.01.2017 am Landgericht Braunschweig eingegangenen Klage, die von Anwälten der rennomierten US-Kanzlei Hausfeld geführt wird, ist die Statuierung eines Muster-Verfahrens, auf das sich später auch andere Kunden in ganz Europa berufen können sollen.

Musterprozess soll Breitenwirkung entfalten

Im Gegensatz zu den USA schließt VW bisher direkte Entschädigungen für Besitzer manipulierter Dieselautos in Europa aus. In Deutschland gibt es Urteile, die keine Pflicht zur Kaufpreis-Erstattung sehen. Einige Gerichte bewerten das zwar auch anders, es gibt aber noch kein Urteil von höchster Instanz. Entscheidend ist, ob die Fälschungs-Software einen so großen und nachweisbaren Mangel darstellt, dass Kunden vom Kauf zurücktreten können. Die Anwälte wollen die Breitenwirkung erhöhen, indem sie eine Klage lancieren, die sie selbst “Musterklage“ nennen: Das Braunschweiger Verfahren soll “exemplarisch“ für ähnliche sein. Hausfeld will die Mangel-Argumentation stark erweitern und möglichen Kundenansprüchen mehr Durchschlagskraft geben.

Anwälte: Kunden hätten Autos nicht gekauft

Die Juristen meinen: Schon die bloße Inbetriebnahme von Autos mit den “defeat device“ genannten Programmen sei ein schwerer Rechtsverstoß durch VW gewesen. Denn die zugehörigen Typgenehmigungen seien vom Tag der Zulassung an gleichsam erloschen. “Die für die vom Abgas-Skandal betroffenen Kraftfahrzeuge ausgestellten Übereinstimmungsbescheinigungen sind ungültig“, schrieb der Berliner Gutachter Remo Klinger. Nachträgliche Rückrufe mit einem Software-Update änderten nichts daran, dass Wagen auf die Straße kamen, die gar nicht in den Verkehr kommen durften. Das soll - wenn es nach den Hausfeld-Anwälten geht - auch der Europäische Gerichtshof bestätigen. Hätten die Kunden gewusst, dass die Autos eigentlich gar nicht fahren dürfen, hätten sie solche Wagen nicht gekauft, lautet die Argumentation der Anwälte.

Abgas-Skandal eröffnet Grundsatz-Debatte um Zulässigkeit von Sammelklagen

In Europa kommt ein ähnlicher Schadenersatz wie in den USA bisher nicht in Frage - was bei Verbraucherschützern auf heftige Kritik stößt. Seit längerem gibt es jedoch eine Debatte um mehr Schutz für Kunden mit Hilfe von vergleichbaren “Sammelklagen“. Dabei stellt sich aber auch die Frage, ob Zahlungen wie jenseits des Atlantiks die Finanzkraft von Volkswagen schlicht überfordern würden. Mittlerweile hat der Konzern 18,2 Milliarden Euro zur Bewältigung der Krise zurückgelegt. Zu den Inhalten der Hausfeld-Klage und dem Vorgehen der Kanzlei wollte sich VW zunächst nicht näher äußern. Man habe die Ankündigung der Anwälte “zur Kenntnis genommen“, sagte ein Sprecher. “Die Klagen wurden uns bisher noch nicht zugestellt.“

VW einigte sich in den USA auf großes Entschädigungspaket

In den USA, wo der Skandal mit weltweit rund 11 Millionen betroffenen Autos 2015 bekannt wurde, einigte sich VW mit Kunden, Händlern und Behörden nach langem Ringen auf ein großes Entschädigungspaket. Die Vergleiche umfassen allein für die 2,0-Liter-Diesel eine Summe, die bis zu 16,5 Milliarden Dollar betragen dürfte. Vor Weihnachten gab es auch eine Grundsatzlösung für 3,0-Liter-Antriebe. Sollten Rückrufe nicht die Probleme abstellen, sind bei einigen Autos Rückkäufe drin. Besonders riskant sind Klagen von Anlegern, die wegen der angeblich zu späten Mitteilung über finanzielle Risiken Aktienkurs-Verluste ersetzt haben wollen. VW ist der Auffassung, alle Regeln befolgt zu haben.

VW-Chef: Klagen sind mittlerweile zum Geschäftsmodell geworden

Und es gibt strafrechtliche Ermittlungen: in den USA wegen Verdachts auf Beweismittelvernichtung, hier wegen möglichen Betrugs und Marktmanipulation - auch gegen Chefaufseher Hans Dieter Pötsch. VW selbst hat ein Heer von Anwälten beauftragt, um die Hintergründe intern klären zu lassen. Externe Prozessfinanzierer spekulieren zudem auf lukrative Aufträge. VW-Chef Matthias Müller hatte mit Blick auf die Sammelklagen auch von einem Geschäftsmodell gesprochen: “Es ist ja eine geübte Praxis in den USA, die offensichtlich jetzt auch versucht wird, nach Europa und Deutschland zu transportieren.“

Redaktion beck-aktuell, Jan Petermann und Felix Frieler, 4. Januar 2017 (dpa).

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