BGH: Vortrag zu rechtzeitigem Fristverlängerungsantrag erst nach Berufungsverwerfung

GG Art. 103 I; ZPO §§ 520 II, 522 I 2, II 1, 2

Legt der Rechtsmittelführer trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises erst nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Verwerfung der Berufung dar, dass er rechtzeitig die Verlängerung der Begründungsfrist beantragt hat, lässt das die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung unberührt. (amtlicher Leitsatz)

BGH, Beschluss vom 26.02.2020 - XII ZB 402/19, BeckRS 2020, 4561

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 08/2020 vom 17.04.2020

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Sachverhalt

Vier Tage nach Ablauf der Frist zur Begründung einer rechtzeitig eingelegten Berufung hat das OLG den Beklagten und Berufungskläger unter Setzung einer Stellungnahmefrist auf den Fristablauf und darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung weder bis zum Tag des Fristablaufs noch seitdem beim OLG eingegangen sei. Hierauf hat der Beklagte, der sich als Rechtsanwalt zugleich selbst vertreten hat, kurz nach Ablauf der Stellungnahmefrist schriftsätzlich mitgeteilt, dass er wegen einer mehrwöchigen, mandatsbedingten Auslandsabwesenheit nicht in der Lage gewesen sei, die Berufungsbegründung fristgemäß zu fertigen. Er sei in Kürze wieder anwesend, daher werde „nachträglich“ beantragt, „die Frist zur Begründung der Berufung“ bis zum Ablauf des Monats zu verlängern. Das OLG hat noch am Tag des Eingangs der Stellungnahme die Berufung durch Beschluss verworfen und zur Begründung (nur) die Daten der Urteilszustellung und des (rechtzeitigen) Eingangs der Berufungsschrift sowie den Umstand, dass die Berufung nicht begründet worden sei, genannt und ausgeführt, dass damit die Berufungsbegründungsfrist des § 522 II 1 ZPO, deren nachträgliche Verlängerung nicht möglich sei, ergebnislos verstrichen, die Berufung mithin unzulässig sei.

Kurz danach hat der Beklagte schriftsätzlich geltend gemacht, bereits fünf Tage vor Fristablauf mit Telefax die Verlängerung der Berufungsfrist beantragt zu haben.

Entscheidung

Der BGH hat die (ohne weiteres statthafte, §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4 ZPO) Rechtsbeschwerde des Berufungsklägers gegen den Beschluss des OLG als unzulässig verworfen. Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 II ZPO seien nicht erfüllt, weil der angefochtene Beschluss den Beklagten weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) noch in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletze; die Begründung des OLG halte sich im Rahmen der Rspr. des BGH.

Der Beschluss wies keinen Begründungsmangel auf

Der angefochtene Beschluss sei hinreichend begründet. Zwar müssten nach stRspr des BGH Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden werde, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen. Allerdings sei die Wiedergabe des gesamten Sachverhalts und der Anträge in einem die Berufung nach § 522 I 2 ZPO verwerfenden Beschluss nicht erforderlich. Der Beschluss könne sich etwa bei Verwerfung der Berufung wegen nicht gewahrter Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder Begründungsfrist (§ 520 II ZPO) auf die dafür entscheidungserheblichen Umstände beschränken. Die Entscheidung des Berufungsgerichts müsse aber auch in diesen Fällen jedenfalls die die Verwerfung tragenden Feststellungen enthalten, weil andernfalls dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Entscheidung nicht möglich sei. Diesen Vorgaben entspreche aber die angefochtene Entscheidung. Sie enthalte sämtliche Feststellungen, die für eine Verwerfung der Berufung mangels Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist erforderlich seien.

Das OLG hat auch nicht das rechtliche Gehör des Beklagten verletzt

Das OLG habe den Beklagten auch nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 I GG verletzt. Auch wenn § 522 I ZPO im Gegensatz zu § 522 II 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Verfahrensbeteiligten nicht ausdrücklich vorsehe, folge allerdings unmittelbar aus Art. 103 I GG die Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers und das Recht des Verfahrensbeteiligten, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem sei das OLG aber mit seinem Hinweis vor der Verwerfung der Berufung, zu dem der Beklagte auch Stellung genommen habe, gerecht geworden. Weil der Beklagte indessen weder auf einen bereits eingereichten Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist hingewiesen, noch sich weiteren Vortrag vorbehalten habe, habe für das OLG keine Veranlassung bestanden, weitere Nachforschungen anzustellen. Lege der Rechtsmittelführer aber erst nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Verwerfung der Berufung dar, dass er rechtzeitig die Verlängerung der Begründungsfrist beantragt habe, lasse das die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung regelmäßig unberührt.

Keine Wiedereinsetzung jedenfalls wegen fehlender Nachholung der Begründung

Schließlich komme auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht. Zwar habe das OLG auch noch nach der Verwerfung der Berufung über eine rechtzeitig beantragte Wiedereinsetzung entscheiden können. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist sei aber nicht Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens. IÜ sei die versäumte Prozesshandlung entgegen § 236 II 2 ZPO nicht fristgerecht nachgeholt worden.

Praxishinweis

Über einen rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist kann zwar auch noch nach Ablauf der Frist, nicht aber mehr nach instanzbeendender Entscheidung des Gerichts entschieden werden. Ist ein solcher Antrag vom Gericht bei seiner Entscheidung übersehen worden, macht dies für sich genommen die Entscheidung – mangels erfolgter Fristverlängerung – nicht unrichtig und damit auch nicht anfechtbar. Dem Rechtsmittelkläger bleibt nur, dem Gericht rechtzeitig durch einen Hinweis auf den Fristverlängerungsantrag „in den Arm zu fallen“ oder anderenfalls nachträglich die (eine bereits erfolgte Rechtsmittelverwerfung gegenstandslos machende) Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu beantragen (zu den Voraussetzungen, unter denen auf eine Fristverlängerung vertraut werden darf, vgl. etwa BGH NJW-RR 2018, 569 mwN = FD-ZVR 2018, 404971 mAnm Toussaint).

Redaktion beck-aktuell, 22. April 2020.