BGH: Vertrauliche Unterlagen im Prozess

ZPO §§ 299 I, 573

1. Zu den Prozessakten im Sinne des § 299 I ZPO gehören grundsätzlich alle Schriftsätze und Unterlagen, die bei dem Gericht zu dem Rechtsstreit geführt werden.

2. Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn das Gericht mit Rücksicht auf einen bei der Einreichung der Unterlagen erklärten Vorbehalt einer Partei von einer Weitergabe der Unterlagen an die Gegenpartei abgesehen hat. (amtliche Leitsätze)

BGH, Beschluss vom 14.01.2020 - X ZR 33/19, BeckRS 2020, 437

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 04/2020 vom 21.02.2020

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Sachverhalt:

In einem Patentverletzungsverfahren hat die in erster Instanz vollumfänglich erfolgreiche Klägerin als Teil der Erwiderung auf die Berufung der Beklagten einen Schriftsatz nebst Anlagen eingereicht, von dem sie einzelne Teile als „streng vertraulich“ gekennzeichnet, und sinngemäß darum gebeten hat, die so gekennzeichneten Teile nur an bestimmte Personen weiterzugeben und diese zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Das Berufungsgericht hat dieses Begehren im Beschlusswege zurückgewiesen und der Klägerin anheimgestellt, die eingereichten Unterlagen gegen ein teilgeschwärztes Exemplar auszutauschen (OLG Düsseldorf BeckRS 2016, 114380). Die Klägerin teilte daraufhin mit, sie habe – zusätzlich zur vollständigen Fassung – bereits ein teilgeschwärztes Exemplar der in Rede stehenden Unterlagen bei Gericht eingereicht. Mit weiterem Beschluss hat das Berufungsgericht angeordnet, dass die als streng vertraulich gekennzeichneten Teile nur den anwaltlichen Vertretern der Streithelferin der Klägerin zur Kenntnis zu bringen und diese zur Verschwiegenheit auch gegenüber der Streithelferin verpflichtet seien und dass hinsichtlich der Beklagten eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit näher bezeichnetem Inhalt angebracht erscheine (OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 156523). Zum Abschluss einer solchen Vereinbarung und zur Überlassung der ungeschwärzten Unterlagen an die Beklagten ist es in der Folgezeit nicht gekommen. Gegen das schließlich der Berufung in geringen Umfang stattgebende Berufungsurteil (OLG Düsseldorf BeckRS 2019, 6087) haben die Parteien und die Streithelferin die vom Berufungsgericht teilweise zugelassene Revision und außerdem Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

Die Geschäftsstelle des BGH hat dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf dessen Antrag die Gerichtsakten nebst den – in einem mit „Geheimhaltungsschutz“ gekennzeichneten Sonderband enthaltenen – ungeschwärzten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Der Überlassung dieser Unterlagen an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist die Klägerin entgegengetreten. Die Geschäftsstelle hat dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach Rückfrage beim Vorsitzenden die Akten ohne diese Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Beklagten beantragen, ihnen Einsicht in die bislang nicht übermittelten Unterlagen zu gewähren. Die Klägerin tritt dem entgegen.

Entscheidung:

Der BGH hat den Antrag als Erinnerung gegen die nach § 299 I ZPO (hier: iVm § 555 I ZPO) der Geschäftsstelle obliegende Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht angesehen, die – ungeachtet des Umstandes, dass die Geschäftsstelle vor ihrer Entscheidung eine Anordnung des Vorsitzenden einholt – nach § 573 I 1, III ZPO statthaft (und auch iÜ zulässig) sei, diese aber als unbegründet zurückgewiesen.

Ungeschwärzte Unterlagen sind nicht Bestandteil der Gerichtsakten geworden

Den Beklagten stehe kein Recht auf Einsicht in die in Rede stehenden Unterlagen zu, weil die Klägerin sie nur unter Vorbehalt eingereicht habe und das Berufungsgericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an die Beklagten abgesehen habe. Zwar hänge das Einsichtsrecht einer Partei nach § 299 I ZPO nicht von der Zustimmung der übrigen Parteien oder sonstiger Verfahrensbeteiligter ab. Hiervon zu unterscheiden sei aber die vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen ein von einer Partei eingereichtes Dokument überhaupt zu den Prozessakten zu nehmen und damit vom Gegenstand des Einsichtsrechts umfasst sei. Die Frage, welche Dokumente zur Akte zu nehmen seien, unterliege zwar ihrerseits grundsätzlich nicht der Entscheidung der Parteien, sondern derjenigen des Gerichts. Dieses wiederum habe grundsätzlich alle Unterlagen zu den Prozessakten zu nehmen, die eine Partei oder sonstige Personen zu dem betreffenden Verfahren einreiche. Wenn indessen eine Partei schon bei der Einreichung von Unterlagen klar zu erkennen gebe, dass diese der Gegenseite nur unter bestimmten Voraussetzungen zugänglich gemacht werden sollten, würden diese jedenfalls dann nicht zum Bestandteil der Prozessakten, wenn das Gericht mit Rücksicht auf diesen Vorbehalt von einer Weitergabe an den Gegner absehe.

Keine Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör

Die Versagung der Einsicht in die in Rede stehenden Unterlagen verletze nicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör. Art. 103 I GG wäre allerdings verletzt, wenn das Berufungsgericht seine Entscheidung zum Nachteil der Beklagten auf die in Rede stehenden Unterlagen gestützt hätte, ohne den Beklagten in angemessener Weise Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ein solcher Verstoß könne aber im Rahmen einer Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden. Einer Einsicht der Beklagten in die betreffenden Unterlagen bedürfe es hierzu nicht, denn der Verstoß bestehe gegebenenfalls gerade darin, dass die angefochtene Entscheidung keine Grundlage im Inhalt der Prozessakten finde.

Praxishinweis:

Der Inhalt der Prozessakten ist nach § 299 I ZPO unbeschränkt parteiöffentlich und nach Maßgabe von § 299 II ZPO in eingeschränktem Maße auch allgemein öffentlich. Der Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen bzw. vertraulicher Daten ist zwar bei der Gewährung von Akteneinsicht an Dritte nach § 299 II ZPO zu berücksichtigen, nicht jedoch im Verhältnis zur Gegenpartei. Verlangt eine Partei vom Gericht die Wahrung der Vertraulichkeit eingereichter Unterlagen auch gegenüber der Gegenseite, darf das Gericht – wie der besprochene Fall zeigt – diese Unterlagen nicht zu den Gerichtsakten nehmen und wegen der Erforderlichkeit der Wahrung des rechtlichen Gehörs der Gegenseite auch bei seiner Entscheidung nicht verwerten. Eine Verwertung vertraulicher Angaben im Prozess kann die Partei nur erreichen, wenn die Unterlagen auch der Gegenseite zugänglich gemacht werden. Ihr bleibt nur, dies zur Wahrung ihres Geheimhaltungsinteresses von geeigneten Sicherheitsvorkehrungen abhängig zu machen:

  • Als hierfür geeigneten Weg bezeichnet der BGH in der besprochenen Entscheidung unter Bezugnahme auf OLG Düsseldorf GRUR-Prax 2018, 270 mAnm Weber = BeckRS 2018, 7036, die Möglichkeit, zunächst nur eine teilgeschwärzte Fassung der betreffenden Unterlagen einzureichen und das Gericht um Anordnung geeigneter Geheimhaltungsmaßnahmen als Voraussetzung für die Einreichung einer ungeschwärzten Fassung zu ersuchen.
  • Der im besprochenen Fall gewählte Weg, neben einer für die Prozessakten und für die Zustellung an den Gegner bestimmten teilgeschwärzten Fassung zugleich eine vollständige Fassung einzureichen mit der Klarstellung, dass diese nur unter bestimmten Voraussetzungen dem Gegner zugänglich gemacht werden soll, ist demgegenüber nach Ansicht des BGH wenig zweckmäßig, weil die geschwärzten Passagen nicht berücksichtigt werden dürfen und es sich hinsichtlich der vollständigen Fassung um eine unter eine Bedingung gestellte und damit unwirksame Prozesshandlung handelt.

Redaktion beck-aktuell, 26. Februar 2020.

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