BAG: Mögliche Grundsatzbedeutung der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen

ArbGG §§ 72a III 2 Nr. 1, 72 II Nr. 1

Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen betrifft keine Rechtsfrage iSd. § 72 II Nr. 1 iVm § 72a III 2 Nr. 1 ArbGG, denn Allgemeine Geschäftsbedingungen sind keine Rechtsnormen, sondern vertragliche Regelungen. (Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Beschluss vom 24.07.2019 - 3 AZN 627/19, BeckRS 2019, 17230

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 18/2019 vom 20.09.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Zivilverfahrensrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Zivilverfahrensrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Zivilverfahrensrecht. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Ein Betriebsrentner verlangt, gestützt auf seine Auslegung der in der Betriebsrentenzusage in Bezug genommenen Versorgungsrichtlinien, eine höhere Betriebsrente (nach Düwell, jurisPR-ArbR 34/2019 Anm. 4). Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LAG hat er Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, mit der er die grundsätzliche Bedeutung der Frage, wie die Versorgungsrichtlinien auszulegen seien, geltend gemacht hat.

Entscheidung: Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung nicht ordnungsgemäß dargelegt

Das BAG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge. Die vom Kläger in der Beschwerdebegründung formulierten Fragen erfüllten nicht die Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Darlegung des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage (§§ 72a III 2 Nr. 1, § 72 II Nr. 1 ArbGG). Denn hierfür habe der Beschwerdeführer die nach § 72a III 2 Nr. 1 ArbGG von ihm darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung konkret zu benennen und ua die allgemeine Bedeutung für die Rechtsordnung und ihre Auswirkungen auf die Interessen jedenfalls eines größeren Teils der Allgemeinheit aufzuzeigen; unzulässig sei eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhänge. Soweit sich der Kläger mit der Auslegung und der ergänzenden Auslegung der Versorgungsrichtlinien befasse, hätten die Fragen aber zum einen schon keine Rechtsnorm iSd. § 72 II Nr. 1 ArbGG zum Gegenstand. Sie bezögen sich vielmehr auf die (ergänzende) Auslegung der für die betriebliche Altersversorgung des Klägers geltenden Versorgungsrichtlinien, die Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. §§ 305 ff. BGB darstellten. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen betreffe keine Rechtsfrage iSd. § 72 II Nr. 1 iVm. § 72a III 2 Nr. 1 ArbGG, denn Allgemeine Geschäftsbedingungen seien keine Rechtsnormen, sondern vertragliche Regelungen. Rechtsfragen zu gesetzlichen Auslegungsregelungen oder einer ergänzenden Vertragsauslegung formuliere der Kläger nicht. Zum anderen seien die Fragen zumindest teilweise („... ob hier") auf die Besonderheiten des konkreten Einzelfalls bezogen aufgeworfen.

Praxishinweis

Die – soweit ersichtlich, allein – vom 3. Senat des BAG in dieser Entscheidung (außerdem auch schon in BAG BeckRS 2017, 157677 Rn. 13; Beschl. v. 11.4.2019 – 3 AZN 720/18 Rn. 6) geäußerte Auffassung, die Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei keine Rechtsfrage iSd § 72 II Nr. 1 ArbGG, steht im Widerspruch zur übrigen Rspr des BAG (und des BGH). Richtig ist zwar, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen keine „Rechtsnormen" im formellen Sinne sind. Indessen ist nach allgM revisionsrechtlich ein materieller Begriff der Rechtsnorm zugrundezulegen (vgl. nur MünchKommZPO/Krüger, § 545 Rn. 3 mwN). Es entspricht daher seit jeher der stRspr des BAG (und des BGH), dass auch Allgemeine Geschäftsbedingungen (anders als Individualvereinbarungen) im revisionsrechtlichen Sinne Rechtsnormencharakter haben (oder jedenfalls revisionsrechtlich wie Rechtsnormen zu behandeln sind) und dass daher ihre Auslegung der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. etwa BAGE 142, 294 = NZA 2013, 338 Rn. 18 [1. Senat]; BAG NZA 2016, 1461 Rn. 15 [2. Senat]; NZA-RR 2012, 489 Rn. 14 [3. Senat, sic!]; BAGE 134, 130 = BeckRS 2010, 72499 Rn. 25 [4. Senat]; BAG NJW 2019, 2340 Rn. 12 [5. Senat]; BAGE 141, 16 = NZA 2012, 1054 Rn. 28 [6. Senat]; BAG NZA 2018, 507 Rn. 22 [7. Senat]; NJW 2018, 1497 Rn. 27 [8. Senat]; NZA 2014, 1136 Rn. 21 [9. Senat]; NJW 2019, 2491 Rn. 19 [10. Senat], jeweils mwN). Folglich kann auch die konkrete Auslegung einer AGB-Klausel Grundsatzbedeutung haben (so ausdrücklich BGHZ 152, 182 = NJW 2003, 65 Rn. 26, vgl. exemplarisch auch BGH BeckRS 2019, 15497). Dazu muss freilich dargelegt werden, dass die aufgeworfene Frage der Auslegung im konkreten Fall entscheidungserheblich sowie allgemein klärungsbedürftig (also insbesondere umstritten) und (vom Einzelfall gelöst) klärungsfähig ist und eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung hat (woran es offenbar in dem vom 3. Senat des BAG entschiedenen Fall „zumindest teilweise" fehlte).

Redaktion beck-aktuell, 26. September 2019.