BGH: Rechtsmittel unter der Bedingung der Gewährung von Pkh/Vkh

FamFG §§ 64, 113 I, 117; ZPO § 114

Reicht der Rechtsmittelführer einen Verfahrenskostenhilfeantrag verbunden mit einem Schriftsatz ein, der die formalen Anforderungen einer Beschwerdeschrift erfüllt, kommt die Deutung, dass der Schriftsatz zunächst nur als Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gemeint war, nur in Betracht, wenn sich das entweder aus dem Schriftsatz selbst oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 7. März 2012 – XII ZB 421/11, FamRZ 2012, 962 und vom 27. Oktober 2010 – XII ZB 113/10, FamRZ 2011, 29). (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 17.04.2019 - XII ZB 546/18, BeckRS 2019, 9840

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2019 vom 14.06.2019

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Sachverhalt

Der in einem Verfahren wegen Getrenntlebensunterhalt vor dem Familiengericht teilweise unterlegene Antragsgegner hat mit an das AG gerichtetem Rechtsanwaltsschriftsatz beantragt, ihm Vkh für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu bewilligen, und weiter ausgeführt: „Die Beschwerde wird nur unter der Bedingung von Vkh erhoben. Im Umfange der Bewilligung von Vkh wird sodann Beschwerde gegen den Beschluss des AG (…) eingelegt.“ Der Schriftsatz enthält kein volles Rubrum und keinen Beschwerdeantrag, aber eine Begründung, weshalb das AG zu Unrecht zu einer Unterhaltspflicht gelangt sei, und ist vom Antragsgegnervertreter unterschrieben. Das OLG hat dem Antragsgegnervertreter den Eingang des Verfahrenskostenhilfeantrags mitgeteilt und nachfolgend die beantragte Vkh bewilligt. Nach entsprechendem Hinweis hat das OLG die Beschwerde verworfen, weil diese nur unter einer Bedingung und daher unzulässig eingelegt worden sei. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich, weil der Antragsgegner innerhalb der ab Zustellung des Verfahrenskostenhilfebeschlusses laufenden Wiedereinsetzungsfrist weder einen entsprechenden Antrag gestellt noch Beschwerde eingelegt habe.

Entscheidung

Der BGH hat die hiergegen gerichtete (gem. §§ 112 Nr. 1, 117 I 4 FamFG, 522 I 4, 574 I 1 Nr. 1 ZPO ohne weiteres statthafte) Rechtsbeschwerde des Antragsgegners verworfen. Da sich die angefochtene Entscheidung im Rahmen der höchstrichterlichen Rspr. halte, verletze sie den Antragsgegner nicht in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip), sodass die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 II ZPO (hier: Erforderlichkeit einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 574 II Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht vorlägen.

Schriftsatz mit Vkh-Antrag war keine wirksame Beschwerde

Dass das OLG den Schriftsatz des Antragsgegners nicht als Beschwerde, sondern lediglich als Verfahrenskostenhilfeantrag angesehen habe, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings erfülle dieser Schriftsatz insofern die Anforderungen an eine Rechtsmittel(begründungs)schrift, als er die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie Darlegungen dazu enthalte, aus denen sich deren Unrichtigkeit ergeben solle, und vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners unterzeichnet sei. Ob sich aus dem Fehlen eines (ggf. entbehrlichen, BGH NJW-RR 2015, 963 Rn. 9 ff. mwN) Beschwerdeantrags und des vollen Rubrums eine andere Beurteilung ergeben könnte, könne aber dahinstehen. Denn das OLG habe zu Recht angenommen, aus dem Schriftsatz ergebe sich mit der erforderlichen, jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit, dass nur ein Antrag auf Gewährung von Vkh gestellt werden sollte. Mit eben diesem Antrag werde der Schriftsatz eingeleitet und im Folgesatz eindeutig erklärt, die Beschwerde werde nur unter der Bedingung eingelegt, dass Vkh bewilligt werde. Diese vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners abgegebene Erklärung lasse allein den Schluss einer „bedingten Beschwerde“ zu, die – aus wirtschaftlichen Erwägungen – gerade nicht unabhängig von Vkh eingelegt und allein in ihrer Durchführung von der Bewilligung bzw. ihrem Umfang abhängig habe sein sollen. In Anbetracht dieser unmissverständlichen Formulierung habe dem sich anschließenden Satz, dass im Umfange der Bewilligung „sodann Beschwerde (…) eingelegt“ werde, allein die Ankündigung einer zukünftigen Verfahrenshandlung, nicht aber deren schon unbedingte Vornahme entnommen werden können.

Keine Wiedereinsetzung möglich

Da der Anwaltsschriftsatz folglich auch keine aufklärungsbedürftige Unklarheit enthalten habe, habe das OLG auch keinen Hinweis nach § 139 I ZPO erteilen müssen. Vielmehr sei es Sache des anwaltlich beratenen Antragsgegners gewesen, nach Verfahrenskostenhilfebewilligung gem. § 113 I FamFG, §§ 234, 236 II ZPO fristgerecht die versäumten Verfahrenshandlungen nachzuholen und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Fristen zur Beschwerdeeinlegung und -begründung zu beantragen. Da dies unterblieben sei, sei für eine Wiedereinsetzung kein Raum gewesen.

Praxishinweis

Der Pkh-/Vkh-Antrag für ein Rechtsmittel kann je nach Formulierung als „isolierter Pkh-/Vkh-Antrag“ (idR der „Königsweg“, vgl. Toussaint NJW 2014, 3209; außerdem BGH BeckRS 2019, 10634 mAnm Toussaint FD-ZVR 2019, 418054), als (unzulässige, vgl. nur BGH FamRZ 2011, 29 = BeckRS 2010, 28103) Rechtsmitteleinlegung unter der Bedingung der Gewährung von Pkh/Vkh oder als (das volle Kostenrisiko auslösende) unbedingte Rechtsmitteleinlegung verbunden mit einem Pkh-/Vkh-Antrag für die Durchführung des Rechtsmittels zu verstehen sein. Für die Abgrenzung hat der BGH folgende Kriterien entwickelt:

  • Ausgangspunkt ist zunächst die Frage, ob iVm dem Pkh-/Vkh-Antrag ein den (jeweiligen) formalen Anforderungen an eine Rechtsmittelschrift genügender Schriftsatz vorliegt. Ist das der Fall, ist dieser regelmäßig als unbedingt eingelegtes Rechtsmittel zu behandeln.
  • Nur ausnahmsweise kommt dann ein Verständnis lediglich als Antrag auf Gewährung von Pkh/Vkh in Betracht, wenn sich dies entweder aus dem Schriftsatz selbst (etwa aus seiner Bezeichnung als „Entwurf einer Rechtsmittelbegründung“, „Begründung zunächst nur des Pkh-/Vkh-Antrags“, „beabsichtigte Rechtsmittelbegründung“ oder aus der Ankündigung der Rechtsmitteleinlegung „nach Gewährung der Vkh/Pkh“) oder sonst aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt.
  • Wegen der schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Rechtsmitteleinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich. Im Zweifel ist nach der Rspr. des BGH zugunsten des Rechtsmittelführers anzunehmen, dass er eher das Kostenrisiko eines ganz oder teilweise erfolglosen Rechtsmittels auf sich nimmt als von vornherein zu riskieren, dass sein Rechtsmittel als unzulässig verworfen wird, er also unbedingt Rechtsmittel eingelegt hat und sich lediglich für den Fall der Versagung von Pkh/Vkh die Zurücknahme des Rechtsmittels vorbehält.

Soll Pkh/Vkh für ein Rechtsmittel beantragt werden, ist es daher wichtig, die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten vor Augen zu haben und sorgfältig in einer Weise zu formulieren, die jeden Zweifel nach Möglichkeit ausschließt. Wird formuliert, dass das Rechtsmittel erst nach Gewährung von Pkh/Vkh eingelegt werde, müssen einer solchen Ankündigung auch Taten folgen.

Redaktion beck-aktuell, 18. Juni 2019.

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