BGH: Unzutreffende Rechtsmittelbelehrung über das zuständige Gericht

UrhG § 105; ZPO §§ § 36 I Nr. 6, 281

Besteht für eine Rechtsmittelzuständigkeit eine landesgesetzliche Konzentration nach § 105 UrhG für Urheberrechtsstreitsachen und erteilt das erstinstanzliche Gericht eine unzutreffende Belehrung über das für das Rechtsmittelverfahren zuständige Gericht, kann die Partei bei dem in der Rechtsmittelbelehrung angeführten Gericht fristwahrend Rechtsmittel einlegen, auch wenn dessen Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren tatsächlich nicht gegeben ist. Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen (Fortführung von BGH, GRUR 2016, 636 – Gestörter Musikvertrieb). (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 07.06.2018 - I ZB 48/17, BeckRS 2018, 27799

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 24/2018 vom 07.12.2018

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Sachverhalt

K meint, er habe eine von B ohne Erlaubnis genutzte Fotografie gefertigt, und verklagt B daher. Das AG gibt der Klage ganz überwiegend statt. In seiner Rechtsbehelfsbelehrung benennt es das LG Freiburg im Breisgau als Berufungsgericht. Dorthin legt B daher rechtzeitig die Berufung ein. Zugleich beantragt er aber, die Berufung an ein zuständiges Gericht zu verweisen, wenn das LG Freiburg im Breisgau nicht zuständig sein sollte. Das LG Freiburg im Breisgau weist B darauf hin, gem. § 13 I der Verordnung des Justizministeriums über Zuständigkeiten in der Justiz Baden-Württemberg (ZuVOJu-BW) sei das LG Mannheim für die Berufung zuständig. Eine fristwahrende Berufungseinlegung sei nur beim funktionell zuständigen LG Mannheim möglich gewesen. Im Folgenden verwirft es aus diesem Grunde die Berufung gem. § 522 I ZPO als unzulässig. Eine Verweisung gem. § 281 ZPO sei nicht möglich gewesen, da diese Bestimmung auf die funktionelle Zuständigkeit grds. nicht anwendbar sei. Im Streitfall gelte auch keine Ausnahme, weil das Rechtsmittelgericht nach dem Wortlaut des § 13 I Nr. 1 ZuVOJu-BW einfach und eindeutig zu bestimmen gewesen und diese Vorschrift den Parteien zudem schon im erstinstanzlichen Verfahren bekannt gewesen sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung: Unzutreffende Rechtsmittelbelehrung zwingt das funktionell unzuständige Gericht, den Rechtsstreit auf Antrag an das funktionell zuständige Gericht zu verweisen

Die von B gegenüber dem LG Mannheim als dem zuständigen Berufungsgericht einzuhaltenden Fristen zur Einlegung der Berufung (§ 519 I ZPO) und zu deren Begründung (§ 520 III 1 ZPO) seien im Fall durch die fristgerechte Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung beim funktionell unzuständigen LG Freiburg im Breisgau gewahrt worden. Denn dieses sei gehalten gewesen, die Sache entsprechend § 281 ZPO gemäß dem Antrag des B an das zuständige LG Mannheim zu verweisen. Zwar könne eine Berufung fristwahrend grds. nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden. Dies gelte aber nur, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren eindeutig sei (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 636 Rn. 18 – Gestörter Musikvertrieb– mAnm Toussaint FD-ZVR 2016, 378608). Anders liege es zB, wenn das erstinstanzliche Gericht in seiner Rechtsmittelbelehrung unzutreffend das allgemein zuständige Rechtsmittelgericht angegeben habe (Hinweis auf BGH GRUR 2016, 636 Rn. 18 ff. – Gestörter Musikvertrieb – mAnm Toussaint FD-ZVR 2016, 378608).

Praxishinweis

Konzentration in Urheberrechtsstreitsachen

§ 105 I UrhG ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnung Urheberrechtsstreitsachen, für die das Landgericht in erster Instanz oder in der Berufungsinstanz zuständig ist, für die Bezirke mehrerer Landgerichte einem von ihnen zuzuweisen, wenn dies der Rechtspflege „dienlich“ ist (zu anderen, ähnlich liegenden Konzentrationsvorschriften siehe etwa Toussaint FD-ZVR 2018, 408051). Eine solche Zuständigkeitsbestimmung betrifft die funktionelle Zuständigkeit des maßgeblichen Gerichts (BGH GRUR 2016, 636 Rn. 11 ff. – Gestörter Musikvertrieb – mAnm Toussaint FD-ZVR 2016, 378608).

Zuständigkeitsbestimmung nicht eindeutig

Gibt es eine Zuständigkeitskonzentration, kann die Berufung fristwahrend grds. nur bei dem nach der Zuständigkeitskonzentration zuständigen Gericht eingereicht werden. Etwas anderes soll gelten, wenn die gesetzliche Regelung zur Zuständigkeit für das Rechtsmittelverfahren nicht eindeutig ist (BGH GRUR 2016, 636 Rn. 18 mAnm Toussaint FD-ZVR 2016, 378608). Das funktional unzuständige Gericht hat die Sache dann nach hM entsprechend § 281 ZPO an das nach der Konzentrationsregelung zuständige Rechtsmittelgericht zu verweisen.

Unzutreffende Rechtsmittelbelehrung

Der BGH meint in diesem Fall erneut (zuvor BGH GRUR 2016, 636 Rn. 18 mAnm Toussaint FD-ZVR 2016, 378608), eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung stehe einer nicht eindeutigen Zuständigkeitsbestimmung gleich. Dies überzeugt allenfalls im Ergebnis. Denn die Rechtsmittelbelehrung hat mit der (Un-)Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung schlicht nichts zu tun. Richtig ist aber, dass ein Rechtsanwalt in der Regel darauf vertrauen darf, dass eine Rechtsmittelbelehrung zutreffend ist (BGH NJW 2017, 3002 = FD-ZVR 2017, 390593), auch ein Fachanwalt (BGH NJW 2018, 164 mAnm Toussaint FD-ZVR 2017, 398755). Ordnet ein Gericht daher eine Sache zu Unrecht nicht als Urheberrechtsstreitsache iSv § 104 UrhG ein – oder kennt es nicht die landesrechtliche Zuständigkeitskonzentration – kann der Rechtsanwalt zwar Berufung auch beim im Übrigen zuständigen Berufungsgericht einlegen. Dann aber ist ferner, wie es der Rechtsanwalt des B auch getan hat, ein Antrag entsprechend § 281 ZPO zu stellen (siehe dazu auch Vossler NJW 2016, 174).

Redaktion beck-aktuell, 12. Dezember 2018.