BGH: Recht­zei­ti­ge Über­mitt­lung einer Be­ru­fungs­be­grün­dung per Fax

ZPO §§ 233 S. 1, 234 I 2, 520 II 1, 522 I 1

Wird ein fünf­sei­ti­ger Schrift­satz kurz vor 23:58 Uhr mit Hilfe eines Te­le­fax­ge­rä­tes an das Ge­richt über­mit­telt, der erst nach 24:00 Uhr ein­geht, schei­det ein Ver­schul­den des Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten an der Frist­wah­rung nur aus, wenn er vor­trägt und glaub­haft macht, dass nach sei­nen Er­fah­rungs­wer­ten bei einer üb­li­chen Über­tra­gungs­dau­er von einem Ein­gang vor 24:00 Uhr aus­zu­ge­hen war. (Leit­satz des Ge­richts)

BGH, Be­schluss vom 27.09.2018 - IX ZB 67/17, BeckRS 2018, 25960

An­mer­kung von
Rich­ter am Kam­mer­ge­richt Dr. Oli­ver Elzer, Ber­lin

Aus beck-fach­dienst Zi­vil­ver­fah­rens­recht 23/2018 vom 23.11.2018

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Sach­ver­halt

Die Be­ru­fungs­be­grün­dungs­frist läuft bis zum 22.3. Die Be­ru­fungs­be­grün­dungs­schrift des B geht aus­weis­lich einer Fax-Ken­nung indes erst am 23.3. in der Zeit von 00:01 Uhr bis 00:02 Uhr beim OLG ein. B meint den­noch, er habe die Be­ru­fung recht­zei­tig be­grün­det. Je­den­falls sei ihm Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand zu ge­wäh­ren. Das OLG sieht das nicht so. Die Be­ru­fungs­be­grün­dung sei nach den Er­mitt­lun­gen al­len­falls um 00:00:11 Uhr voll­stän­dig ein­ge­gan­gen ge­we­sen. Das Ge­gen­teil habe B nicht be­wie­sen. Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand könne auch nicht ge­währt wer­den. So­weit sich R, der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te des B, auf einen „grip­pa­len In­fekt“ be­ru­fe, sei diese Er­kran­kung man­gels Vor­la­ge einer aus­sa­ge­kräf­ti­gen ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung nicht aus­rei­chend glaub­haft ge­macht. Zudem habe R nicht der Sorg­falts­pflicht ge­nügt, die Über­mitt­lung eines Schrift­sat­zes per Te­le­fax recht­zei­tig zu be­gin­nen. Über­dies er­wei­se sich der am 2.5.2017 ge­stell­te An­trag auf Wie­der­ein­set­zung als ver­spä­tet. Die Mo­nats­frist des § 234 I ZPO habe be­reits am 25.3.2017 zu lau­fen be­gon­nen, als R fern­münd­lich über den ver­spä­te­ten Ein­gang der Be­ru­fungs­be­grün­dung un­ter­rich­tet wor­den sei. Schlie­ß­lich schei­de auch eine Wie­der­ein­set­zung gegen die Ver­säu­mung der Wie­der­ein­set­zungs­frist aus. So­weit der R gel­tend mache, Mitte April er­neut eine Woche ar­beits­un­fä­hig er­krankt ge­we­sen zu sein, könne nach der vor­ge­leg­ten ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung nicht von einer über­ra­schen­den und un­vor­her­seh­ba­ren Er­kran­kung aus­ge­gan­gen wer­den. Gegen diese Sicht­wei­se rich­tet sich die Rechts­be­schwer­de des B. Ohne Er­folg!

Ent­schei­dung: Wird 2 Mi­nu­ten vor 24.00 Uhr ge­faxt, muss glaub­haft ge­macht wer­den, dass an­ge­sichts der Sei­ten­zahl des Schrift­sat­zes auch mit einem Ein­gang noch vor 24.00 Uhr zu rech­nen war

Ver­spä­tung der Be­ru­fungs­be­grün­dung

Das OLG sei in Ein­klang mit den Re­geln des Frei­be­wei­ses (Hin­weis auf BGH NJW-RR 1992, 1338) und ohne Ver­stoß gegen Art. 103 I GG zum Er­geb­nis ge­langt, die Be­ru­fungs­be­grün­dung sei zu spät ein­ge­gan­gen. Nach­dem sich die Zeit­an­zei­ge des Fax­ge­räts als un­rich­tig und zum Nach­weis der Frist­wah­rung als un­ge­eig­net er­wie­sen hatte, habe sich das OLG von dem zu­stän­di­gen War­tungs­un­ter­neh­men einen Ein­zel­ver­bin­dungs­nach­weis er­stel­len las­sen. Die­ser ge­lan­ge zu dem Er­geb­nis, dass der Schrift­satz am 23.3.2017 um 00:00:34 Uhr ein­ge­gan­gen sei. Mit Rück­sicht auf eine Ab­wei­chung der Te­le­fon­an­la­ge im Ver­gleich zu der Funk­uhr um 23 Se­kun­den habe das War­tungs­un­ter­neh­men dann einen Ein­gang am 23.3.2017 um 00:00:11 Uhr zu­grun­de ge­legt.

Ver­schul­den an der nicht recht­zei­ti­gen Frist­wah­rung

Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand könne B nicht ge­währt wer­den. Denn B sei nicht ohne sein Ver­schul­den an der recht­zei­ti­gen Frist­wah­rung ge­hin­dert ge­we­sen (§ 233 S. 1 ZPO). R habe kurz vor 23:58 Uhr mit der Über­sen­dung der fünf­sei­ti­gen Be­ru­fungs­be­grün­dungs­schrift be­gon­nen. Es fehle in­so­weit an jeder Dar­le­gung und Glaub­haft­ma­chung, dass in einem sol­chen Fall mit einem recht­zei­ti­gen Ein­gang vor 24:00 Uhr zu rech­nen ge­we­sen sei – zumal bei der Fa­x­über­mitt­lung wegen schwan­ken­der Über­tra­gungs­ge­schwin­dig­kei­ten eine ge­wis­se Zeit­re­ser­ve ein­zu­kal­ku­lie­ren sei (Hin­weis auf BGH NJW 2004, 2525 [2526]). Habe ein Rechts­an­walt grds. einen Zeit­be­darf von 30 Se­kun­den je Seite an­zu­set­zen (Hin­weis auf BGH NJW 2005, 678 [679]), muss­te R mit einer vor­aus­sicht­li­chen Über­mitt­lungs­dau­er von 2:30 Mi­nu­ten rech­nen.

Mo­nats­frist für den An­trag auf Wie­der­ein­set­zung

Je­den­falls sei die Mo­nats­frist für den An­trag auf Wie­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand (§234 I 2 ZPO) nicht ge­wahrt ge­we­sen. Diese Frist be­gin­ne zu lau­fen, so­bald die Par­tei oder ihr Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ter er­kannt habe oder bei An­wen­dung der ge­bo­te­nen Sorg­falt hätte er­ken­nen kön­nen und müs­sen, dass die Rechts­mit­tel­frist ver­säumt ge­we­sen sei (Hin­weis ua auf BGH NJW-RR 2012, 252 Rn. 11). Ein Hin­der­nis sei nicht erst bei Kennt­nis des wah­ren Sach­ver­halts ent­fal­len; es sei auch be­ho­ben, so­bald die Un­kennt­nis und damit die Ver­hin­de­rung nicht mehr un­ver­schul­det sei. Die Wie­der­ein­set­zungs­frist be­gin­ne des­halb spä­tes­tens mit dem Zeit­punkt, in dem der ver­ant­wort­li­che Rechts­an­walt bei An­wen­dung der unter den ge­ge­be­nen Um­stän­den von ihm zu er­war­ten­den Sorg­falt die ein­ge­tre­te­ne Säum­nis hätte er­ken­nen kön­nen und müs­sen (Hin­weis ua auf BGH BeckRS 2011, 21195 Rn. 7). Die Frist laufe daher mit Kennt­nis­nah­me einer ge­richt­li­chen Mit­tei­lung, aus der das Ein­gangs­da­tum der ver­spä­te­ten Be­ru­fung zu er­ken­nen sei. Im Fall habe R auf seine ei­ge­ne fern­münd­li­che Er­kun­di­gung vom Be­richt­erstat­ter am 24.3.2017 er­fah­ren, dass die Be­ru­fungs­be­grün­dung ver­spä­tet ein­ge­gan­gen war. Ab die­sem Zeit­punkt sei die Un­kennt­nis und damit die Ver­hin­de­rung nicht mehr un­ver­schul­det ge­we­sen.

Wie­der­ein­set­zung in die ver­säum­te Wie­der­ein­set­zungs­frist

Eine Wie­der­ein­set­zung in die ver­säum­te Wie­der­ein­set­zungs­frist (§§ 233 S. 1, 234 I ZPO) komme auch nicht in Be­tracht. Ein Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ter habe Vor­keh­run­gen zu tref­fen, dass im Falle sei­ner Er­kran­kung ein Ver­tre­ter die not­wen­di­gen Pro­zess­hand­lun­gen vor­nimmt (Hin­weis auf BGH NJW 1996, 1541). Des­halb sei bei Er­kran­kung eines Ein­zel­an­walts ein Ver­tre­ter mit der Er­le­di­gung frist­ge­bun­de­ner Ar­bei­ten zu be­trau­en (Hin­weis auf BGH NJOZ 2015, 1776 Rn. 7 mAnm Elzer FD-ZVR 2015, 371302). Hier­an fehle es im Fall.

Pra­xis­hin­weis

Prü­fung der Statt­haf­tig­keit und Zu­läs­sig­keit der Be­ru­fung von Amts wegen

Ein Be­ru­fungs­ge­richt hat nach § 522 I 1 ZPO im Frei­be­weis­ver­fah­ren und vAw zu prü­fen, ob die Be­ru­fung an sich statt­haft und ob sie in der ge­setz­li­chen Form und Frist ein­ge­legt und be­grün­det ist. Dabei muss die Recht­zei­tig­keit des Ein­gangs der Be­ru­fungs­be­grün­dung – so wie die üb­ri­gen Zu­läs­sig­keits­vor­aus­set­zun­gen des Rechts­mit­tels auch – zur vol­len Über­zeu­gung des Ge­richts be­wie­sen wer­den. Hier­nach etwa ver­blei­ben­de Zwei­fel gehen – auch bei Ein­satz eines Te­le­fax­ge­räts – zu Las­ten des Rechts­mit­tel­füh­rers, der zu be­wei­sen hat, dass er die Be­ru­fung recht­zei­tig be­grün­det hat (BGH BeckRS 2016, 4976 Rn. 10).

Das Er­for­der­li­che zur Frist­wah­rung

Der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te hat mit der ord­nungs­ge­mä­ßen Nut­zung eines funk­ti­ons­fä­hi­gen Fax­sen­de­ge­räts und der kor­rek­ten Ein­ga­be der Emp­fän­ger­num­mer das sei­ner­seits Er­for­der­li­che zur Frist­wah­rung getan, wenn er so recht­zei­tig mit der Über­mitt­lung be­ginnt, dass unter nor­ma­len Um­stän­den mit ihrem Ab­schluss vor 00:00 Uhr zu rech­nen ist. Ihn trifft kein Ver­schul­den, wenn die Te­le­fa­x­über­mitt­lung – etwa wegen tech­ni­scher Stö­run­gen am Emp­fangs­ge­rät oder wegen Lei­tungs­stö­run­gen – einen Zeit­raum be­an­sprucht, mit dem er nicht rech­nen muss­te (BGH NJW-RR 2012, 1341 Rn. 9).

Recht­zei­tig­keit des Fa­x­ein­gangs

Wird die Be­ru­fungs­be­grün­dung per Te­le­fax über­sandt, kommt es für die Recht­zei­tig­keit ihres Ein­gangs dar­auf an, ob sie bei Ab­lauf des letz­ten Tages der Frist vom Te­le­fax­ge­rät des Ge­richts voll­stän­dig emp­fan­gen ist. Um die Frist zu wah­ren, muss die Be­ru­fungs­be­grün­dung vor Be­ginn des auf den letz­ten Tag der Frist fol­gen­den Tages um 00:00 Uhr ein­ge­hen, also, weil zwi­schen 24:00 Uhr und 00:00 Uhr keine, auch keine lo­gi­sche Se­kun­de exis­tiert, vor Ab­lauf von 23:59 Uhr.

Redaktion beck-aktuell, 29. November 2018.

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