BGH: Erneute Anhörung eines Sachverständigen

GG Art. 103 I; ZPO § 529 I Nr. 1

Das Berufungsgericht muss einen Sachverständigen erneut anhören, wenn es dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen will. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 18.07.2018 - VII ZR 30/16, BeckRS 2018, 18177

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 18/2018 vom 14.09.2018

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Sachverhalt

Im Zuge der Sanierung eines Hinterhauses sollen in seinem Keller Garagenräume errichtet werden. Hierzu muss die Kelleraußenwand durchbrochen und die Gebäudeaußenwand abgefangen werden. Bei diesen Arbeiten bricht die Gebäudeaußenwand ein. Der Bauherr K verlangt aus diesem Grunde ua vom Architekten B Schadensersatz. Das LG erhebt zur Frage, ob B seine Pflichten verletzt hat, Beweis durch einen Sachverständigen. Weil dessen Gutachten diese Frage bejaht, verurteilt das LG den B. Dagegen richtet sich die Berufung. Das OLG bewertet das vom LG eingeholte Gutachten abweichend und weist auf dieser Grundlage die Klage ab. Hiergegen wendet sich der K mit einer Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Beim Sachverständigenbeweis bedürfe es einer erneuten Anhörung des Sachverständigen, wenn ein Berufungsgericht dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen, insbes. ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legen und damit andere Schlüsse aus diesen ziehen wolle als der Erstrichter (Hinweis ua auf BVerfG NJW 2011, 49 Rn. 10 ff.). Gegen diesen Grundsatz habe das OLG verstoßen. Denn das Verständnis, das es vom Gutachten gewonnen habe, sei erstinstanzlich nicht Gegenstand des Gutachtens und auch kein Gegenstand der Anhörungstermine gewesen. Das OLG lege auch keine Umstände dar, warum es ausnahmsweise bereits aufgrund des Akteninhalts zu einem anderen Ergebnis als das LG habe kommen dürfen. Die Entscheidung beruhe auf diesem Verfahrensfehler.

Praxishinweis

Nach Art. 103 I GG haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass einer Entscheidung zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insbes. gebietet das Recht auf rechtliches Gehör iVm mit den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Diesen Anforderungen hatte das OLG nicht genügt. Denn ein Berufungsgericht ist grds. verpflichtet, in erster Instanz vernommene Zeugen nach § 398 I ZPO erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will. Beim Sachverständigenbeweis gilt im Grundsatz nichts anderes (§ 402 ZPO). Auch dort bedarf es einer erneuten Anhörung des Sachverständigen durch das Berufungsgericht, wenn es dessen Ausführungen abweichend von der Vorinstanz würdigen will, insbes. ein anderes Verständnis der Ausführungen des Sachverständigen zugrunde legen und damit andere Schlüsse aus diesen ziehen will als der Erstrichter (stRspr, etwa BGH BeckRS 2010, 10707 Rn. 8; BGH NJW 1994, 803 unter II 1 b; BGH NJW 1993, 2380 unter II 2 a).

Redaktion beck-aktuell, 17. September 2018.

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