BGH: Umfang der Rechtskraft einer WEG-Anfechtungsklage

ZPO §§ 322 I, 325 I; WEG §§ 21 IV, VIII, 46 I 1

Nach einer erfolgreichen WEG-Anfechtungsklage steht – sofern der Beschluss nicht wegen formeller Fehler für unwirksam erklärt worden ist – nach § 322 I ZPO fest, dass der Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung iSv § 21 IV WEG entsprach. Handelte es sich um einen Negativbeschluss, steht zugleich rechtskräftig fest, dass eine Handlungspflicht bestand. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Urteil vom 23.02.2018 - V ZR 101/16, BeckRS 2018, 10999

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 17/2018 vom 31.08.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Zivilverfahrensrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Zivilverfahrensrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Zivilverfahrensrecht. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Wohnungseigentümer streiten seit dem Jahre 2014 im Rahmen einer von Wohnungseigentümer K gegen die aktuellen Wohnungseigentümer erhobenen Schadensersatzklage über die Vorfrage, ob Wohnungseigentümer K einen Anspruch auf Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hat. K meint, diese Frage sei bereits rechtskräftig entschieden. Er verweist insoweit auf einen früheren Anfechtungsrechtsstreit gegen die damaligen Wohnungseigentümer. Dort war es um K‘s Beschlussantrag vom 25.11.2010 gegangen, zur Feststellung der Ursachen von Feuchtigkeitsschäden einen Sachverständigen zu beauftragen, der bei Vorliegen von Mängeln die notwendigen Maßnahmen ermitteln, die Arbeiten ausschreiben und einen Preisspiegel erstellen soll. Diesen Antrag hatten die Wohnungseigentümer abgelehnt und K hatte daher eine Anfechtungs- und eine Beschlussersetzungsklage erhoben. Das AG hatte diese Klagen abgewiesen. Das LG hatte im Jahre 2013 hingegen den Negativbeschluss rechtskräftig für ungültig erklärt und nach § 21 VIII WEG auf die Beschlussersetzungsklage ferner ausgesprochen, dass die Beseitigung der Mängel des gemeinschaftlichen Eigentums, die für die Durchfeuchtung und Schimmelbildung ursächlich oder mitursächlich seien, beschlossen seien. Ferner hatte es die beklagten Wohnungseigentümer verpflichtet, den Abschluss der hierfür erforderlichen Verträge mit Dritten zu beschließen.

Entscheidung

Der BGH teilt die Rechtsansicht des K! Die Rechtskraft des Urteils aus dem Jahre 2013 erstrecke sich zum einen auf alle im jetzigen Verfahren verklagten Wohnungseigentümer. Dies folge aus der Parteistellung der damaligen Wohnungseigentümer im Verfahren über die Anfechtungs- und Beschlussersetzungsklage. K’s Klage habe sich gegen die übrigen Eigentümer der Wohnungseigentumsanlage gerichtet. K‘s Eigentümerliste sei insoweit lediglich deklaratorische Bedeutung zugekommen. Ein in der Eigentümerliste versehentlich nicht aufgeführter Wohnungseigentümer sei gleichwohl Partei geblieben (Hinweis auf BGH NZM 2011, 782 Rn. 8).

Aufgrund der Rechtskraft des der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils stehe fest, dass die übrigen Wohnungseigentümer am 25.11.2010 eine Handlungspflicht in Bezug auf die Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums getroffen habe. Nach einer erfolgreichen Anfechtungsklage stehe nämlich – sofern der Beschluss nicht wegen formeller Fehler für unwirksam erklärt worden sei – unter den Wohnungseigentümern als Folge der Rechtskraft fest, dass der Beschluss keiner ordnungsmäßigen Verwaltung entsprochen habe (Hinweis auf BGH NJW 2011, 2660 Rn. 16). Sei ein Negativbeschluss angefochten worden, stehe zugleich rechtskräftig fest, dass eine Handlungspflicht der Wohnungseigentümer bestanden habe. Denn die Ablehnung einer beantragten Maßnahme könne nur dann ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen, wenn eine Pflicht zum Handeln bestanden habe. Darüber hinaus stehe aufgrund der weiter ausgesprochenen gerichtlichen Beschlussersetzung nach § 21 VIII WEG in Bezug auf die Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums rechtskräftig fest, dass Mängel an diesem vorgelegen hätten, die für die Durchfeuchtung und Schimmelbildung ursächlich bzw. mitursächlich gewesen seien, und ein Anspruch des K auf Vornahme von Instandsetzungsarbeiten gegeben gewesen war. Denn mit Rechtskraft eines stattgebenden Gestaltungsurteils trete die Gestaltungswirkung ein; zugleich erwachse die Feststellung in materielle Rechtskraft, dass das Gestaltungsrecht des Klägers im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestanden und die Gestaltungswirkung daher zu Recht eingetreten sei (Hinweis auf BGH NJW-RR 2018, 522 Rn. 13). Die in einem Vorprozess festgestellten Tatsachen erwüchsen zwar als solche nicht in Rechtskraft. Andererseits dürfe die Rechtskraft der Entscheidung über den erhobenen Anspruch nicht mit dem Vorbringen „ausgehöhlt“ werden, das rechtskräftige Urteil gründe sich auf unrichtige Tatsachen. Habe ein Gericht den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut zu prüfen, habe es deshalb seinem Urteil den Inhalt dieser Entscheidung zugrunde zu legen (Hinweis ua auf BGH NJW 2017, 3438 Rn. 8 mAnm Elzer FD-ZVR 2017, 395597). Mit Vortrag zu Tatsachen, die im maßgeblichen Zeitpunkt des Vorprozesses schon vorhanden gewesen und darauf gerichtet gewesen seien, das kontradiktorische Gegenteil der im Vorprozess festgestellten Rechtsfrage auszusprechen, seien die Parteien daher insoweit ausgeschlossen, als sie bei „natürlicher Anschauung“ zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehört hätten (Hinweis auf BGH NJW 2017, 893 Rn. 17 mAnm Elzer FD-ZVR 2017, 386892). So liege es im Fall hinsichtlich des Vortrags, das gemeinschaftliche Eigentum sei gar nicht instandsetzungsbedürftig.

Praxishinweis

Am besten ist es, alle beklagten Wohnungseigentümer in das Passivrubrum aufzunehmen. Bedient sich der klagende Wohnungseigentümer indes einer Eigentümerliste, muss diese richtig sein. Fehlt es daran und fällt der Fehler auf, ist die Klage in erster Instanz als unzulässig abzuweisen (BGH BeckRS 2018, 13278 Rn. 5). Fällt der Fehler nicht auf, kann die Eigentümerliste in der Berufung mit der Folge, dass der Mangel der Zulässigkeit der Klage geheilt wird, ergänzt werden (BGH BeckRS 2018, 13278 Rn. 6; BGH NJW 2013, 1003 Rn. 5). Bleibt die Eigentümerliste allerdings falsch, ist ein gleichwohl auf seiner Grundlage ergehendes Urteil zwar nicht unwirksam (BGH NZM 2014, 522 Rn. 8); es bindet allerdings nicht die Wohnungseigentümer, die zu Unrecht nicht beteiligt wurden (BGH NZM 2014, 522 Rn. 11). Soweit der BGH mit dieser Entscheidung etwas anderes insinuiert, wird er sich wohl korrigieren müssen. Zur für den Fall tragenden Tatsachenpräklusion siehe im Übrigen die Übersicht bei Elzer FD-ZVR 2017, 395597.

Sieben der beklagten Wohnungseigentümer (die Anschlussrevisionsführer) hatten zum einen geltend gemacht, an dem Verfahren gegen den Beschluss aus dem Jahre 2010 gar nicht beteiligt gewesen zu sein. Der BGH hielt diesen Einwand Rn. 70 nicht für berechtigt. Soweit fünf der sieben Anschlussrevisionsführer im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits Wohnungseigentümer gewesen waren, ergebe sich ihre Bindung an die Rechtskraft aus ihrer Parteistellung. Da es diese Parteistellung indes nicht gegeben hatte, wenn die Anschlussrevisionsführer auf K‘s Eigentümerliste bis zuletzt fehlten, liegt der BGH leider – wie bereits ausgeführt – insoweit falsch. Die anderen zwei Anschlussrevisionsführer hatten hingegen geltend gemacht, erst im Jahre 2011 Wohnungseigentümer geworden zu sein. Insoweit verweist der BGH auf § 325 I ZPO – und hat Recht, wenn sich die Rechtsvorgänger dieser Anschlussrevisionsführer auf der Eigentümerliste des K wenigstens zuletzt fanden, und hat Unrecht, wenn dies nicht der Fall gewesen ist.

Zum anderen hatten die Anschlussrevisionsführer darauf verwiesen, sie hätten vor einem sie verpflichtenden Tun die Rechtskraft der Entscheidung über die Anfechtungs- und die Beschlussersetzungsklage abwarten dürfen. Auch diese Überlegung überzeugte die Karlsruher Richter nicht. Der „Geltungsanspruch des Rechts“ fordere, dass der Verpflichtete grds. das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage und somit auch ein Prozessrisiko selbst trage. Daher seien an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums des Schuldners strenge Anforderungen zu stellen (Hinweis auf BGH NJW 2014, 2717 Rn. 34). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege bei einem Schuldner idR nur dann vor, wenn er die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft habe und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht habe rechnen müssen. Habe der Schuldner dagegen mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen würde als er, sei ihm idR ein Verschulden anzulasten; dies gelte insbes. bei einer unklaren Rechtslage. Sofern der Schuldner zu einer eigenständigen rechtlichen Beurteilung nicht in der Lage sei, müsse er im Übrigen Rechtsrat einholen (Hinweis ua auf NJW 2014, 2720 Rn. 25). Die Anschlussrevisionsführer könnten nach diesem Maßstab nicht auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum verweisen. Sie hätten nämlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgehen können, K‘s Anspruch auf Instandsetzung sei bereits verjährt gewesen. Es sei im Jahre 2010 zwar ungeklärt gewesen, ob der Anspruch auf erstmalige plangerechte Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums verjähren könne. Um eine solche Fallgestaltung handele es sich aber nicht. Es gehe vielmehr um die Behebung eines bereits seit der Errichtung der Wohnungseigentumsanlage bestehenden „Baumangels“. Dass der Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf Beseitigung eines solchen Mangels nicht der Verjährung unterliege, habe bereits zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beschlussfassungen aus der Rechtsprechung zum Mietrecht abgeleitet werden können (Hinweis auf BGH NJW 2010, 1292 Rn. 17). Diese Überlegung stimmt nur, wenn es einen „Baumangel“ gab. Dies bestimmt sich nach dem Sollzustand einer Wohnungseigentumsanlage, also dem, was die Wohnungseigentümer insoweit bestimmt haben. Soweit BGH BeckRS 2018, 8235 Rn. 10 demgegenüber meint, es sei zu prüfen, ob Mängel vorlägen, die die zweckentsprechende Nutzung des Sondereigentums erheblich beeinträchtigten oder sogar ausschlössen, ist das der kaum überzeugende Aufruf dazu, Kellerwohnungen aus wilhelminischer Zeit zu kaufen und dann auf Kosten der Nachbarn instandsetzen zu lassen.

Redaktion beck-aktuell, 6. September 2018.