BGH: Tod des sich selbst vertretenden Anwalts während des Verfahrens

ZPO §§ 78 IV, 239 I, 246 I; BRAO § 53

Verstirbt ein sich in einem Rechtsstreit selbst vertretender Rechtsanwalt, tritt eine Unterbrechung des Verfahrens auch dann ein, wenn für ihn ein allgemeiner Vertreter bestellt war, dessen Vertretungsbefugnis mit dem Tod des Rechtsanwalts endet. (amtlicher Leitsatz)

BGH, Beschluss vom 01.03.2018 - IX ZR 2/18, BeckRS 2018, 03822

Anmerkung von 
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe 

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 07/2018 vom 6.4.2018

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Sachverhalt

Der klagende Rechtsanwalt nimmt die Beklagten auf Zahlung von Anwaltsvergütung in Anspruch; die Beklagten verlangen widerklagend Schadensersatz wegen einer vermeintlichen anwaltlichen Fehlberatung. Während des Berufungsverfahrens hat die zuständige RAK für den erkrankten Kläger einen Assessor als Vertreter bestellt. Das Berufungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Widerklage abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen. Wenige Tage nach Zustellung des Berufungsurteils ist der Kläger verstorben; Erben sind nicht bekannt. Die zuständige RAK hat hierauf einen Rechtsanwalt zum Abwickler der Kanzlei des Klägers ernannt.

Der BGH hat den Beklagten auf rechtzeitig gestellten Antrag Pkh zur Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde gewährt, soweit ihr Widerklagebegehren abgewiesen worden ist. Die Beklagten haben daraufhin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Entscheidung

Der BGH hat hierauf zunächst nur ausgesprochen, dass das Verfahren wegen des Todes des Klägers gem. § 239 I ZPO unterbrochen sei. Eine Unterbrechung des Verfahrens trete gem. § 246 I ZPO nur dann nicht ein, wenn eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattgefunden habe. Diese Vorschrift sei in dem hier vorliegenden Fall eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts mangels Personenverschiedenheit von Mandant und Prozessbevollmächtigtem aber nicht einschlägig. Beim Tode eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts komme es ausnahmsweise nur dann gem. § 246 I ZPO nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens, wenn der Rechtsanwalt durch eine andere Person weiterhin wirksam vertreten werde (wie zB idR beim Versterben des Mitglieds einer Rechtsanwaltssozietät). Dass sei hier nicht etwa deshalb der Fall gewesen, weil für den Kläger noch zu Lebzeiten ein allgemeiner Vertreter bestellt worden sei, dem gem. § 53 VII BRAO die vollen anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zustünden, den er vertrete, denn dessen Vertreterstellung habe mit dem Tod des vertretenen Anwalts geendet. Die damit mit dem Tod des Klägers eingetretene Verfahrensunterbrechung sei durch die nachfolgende Bestellung eines Abwicklers weder rückwirkend beseitigt noch beendet worden.

Durch die Verfahrensunterbrechung sei der Senat zwar nicht gehindert gewesen, über das Gesuch der Beklagten auf Bewilligung von Pkh zu entscheiden (Hinweis auf BGH NJW 1966, 1126). Entscheidungen in der Hauptsache könne er aber nicht treffen, weshalb gegenwärtig über den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten nicht befunden werden könne. Denn während der Unterbrechung seien nicht nur die von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung (§ 249 II ZPO). Der Regelung des § 249 ZPO sei vielmehr zu entnehmen, dass auch Handlungen des Gerichts, die nach außen vorgenommen werden, grundsätzlich unwirksam seien.

Praxishinweis

Stirbt eine Partei während des Prozesses, treten ihre – gfs. noch unbekannten – Erben kraft Gesetzes als Rechtsnachfolger an ihre Stelle. Um diesen Gelegenheit zu geben, sich über den Prozess zu informieren und über dessen Fortführung zu entscheiden, führt der Tod der Partei aber gem. § 239 I ZPO im Grundsatz zur Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen (gfs. vom Prozessgegner zu erzwingenden, § 239 IIIV ZPO) Aufnahme durch die Rechtsnachfolger. War aber die verstorbene Partei anwaltlich vertreten, wirkt dieses Vertretungsverhältnis für und gegen die (auch unbekannten) Erben fort (vgl. § 86 ZPO). In diesem Falle tritt daher gem. § 246 I ZPO keine Unterbrechung ein, sondern es bleibt dem Prozessbevollmächtigten überlassen, ob er – zum Zwecke der Klärung der Rechtsnachfolge und Einholung von Weisungen – eine Aussetzung des Verfahrens beantragt.

Soweit § 78 IV ZPO einem Rechtsanwalt gestattet, „sich selbst [zu] vertreten“, bedeutet dies nur, dass er vom allgemeinen Vertretungszwang des § 78 I ZPO befreit ist, nicht aber, dass er damit einen „Vertreter“ hat. Es liegt daher auf der Hand, dass bei einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt § 246 I ZPO regelmäßig nicht einschlägig ist. War für den Rechtsanwalt zu Lebzeiten nach Maßgabe von § 53 BRAO ein allgemeiner Vertreter bestellt, wurde allerdings in der Vergangenheit und wird heute noch gelegentlich die Auffassung vertreten, dass er in Selbstvertretungsfällen auch über seinen Tod hinaus weiterhin durch eine andere Person wirksam vertreten sei. Dies beruhte auf § 54 BRAO aF, nach dem Rechtshandlungen, die der Vertreter vor der Löschung des Rechtsanwalts in der früheren Liste der Rechtsanwälte noch vorgenommen hatte, nicht deshalb unwirksam waren, weil der Rechtsanwalt zur Zeit der Bestellung des Vertreters oder zur Zeit der Vornahme der Handlung nicht mehr lebte. Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass mit der Streichung des § 54 BRAO durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.07.2009 für diese Auffassung keine rechtliche Grundlage mehr gegeben ist.

Redaktion beck-aktuell, 10. April 2018.