BGH: Ermittlung ausländischen Rechts

ZPO § 293; FamFG § 26; Art. 2659 I Nr. 1 Codice civile

Der Tatrichter hat ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschafft, liegt in seinem Ermessen. Ermessensfehlerhaft ist es, die Ermittlung des fremden Rechts auf die Heranziehung der Rechtsquellen zu beschränken. Stets muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigt werden. Der Tatrichter muss insoweit die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 09.02.2017 - V ZB 166/15, BeckRS 2017, 104200

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 07/2017 vom 13.04.2017

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Sachverhalt

Mit notariellem Vertrag verkauft die als Eigentümerin im Grundbuch eingetragene B1 ein Wohnungseigentum an B2, eine società semplice („einfache Gesellschaft“) italienischen Rechts mit Sitz in Ravenna (Italien). Zur Sicherung des Anspruchs auf Eigentumsübertragung bewilligt B1 die Eintragung einer Vormerkung zugunsten der B2. Diese beantragt unter Vorlage eines Auszugs aus Unternehmensregister der Industrie- und Handelskammer von Ravenna die Eintragung. Das Grundbuchamt weist den Antrag zurück. Mit der Beschwerde beantragt B2 hilfsweise, die società semplice mit dem Zusatz „bestehend aus den Gesellschaftern V. und F. s.r.l.“ einzutragen. Das KG weist die Beschwerde zurück. Die Eintragung einer ausländischen Gesellschaft unter ihrem Namen in das Grundbuch setze die Rechtsfähigkeit voraus. Hieran fehle es. Eine società semplice sei keine juristische Person. Die fakultative Eintragung in das italienische Unternehmensregister habe lediglich verlautbarenden Charakter und begründe keine mit § 15 HGB vergleichbaren Publizitätswirkungen. Entscheidungen italienischer Gerichte, in denen der società semplice Teilrechtsfähigkeit zuerkannt werde, seien nicht ersichtlich. Gem. Art. 2659 I Nr. 1 Codice civile sei die società semplice in Ansehung von Rechten an Grundstücken allenfalls dann erwerbsfähig, wenn in der Eintragungsnote in das italienische Immobilienregister auch die Personalien der Personen angegeben würden, die sie nach dem Gründungsvertrag vertreten. Eine solche Eintragung sei nach dem anzuwendenden deutschen Verfahrensrecht (§ 15 GBV) aber auch nicht möglich. § 47 II GBO gelte aufgrund des Bezugs zu § 899a BGB nur für die deutsche GbR. Mit der Rechtsbeschwerde will B 2 weiterhin ihre Eintragung erreichen.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde erzielt einen Teilerfolg. Das KG habe das italienische Recht bislang nur unzureichend ermittelt. Dabei könne dahinstehen, ob sich das Verfahren zur Ermittlung ausländischen Rechts im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 293 ZPO richte oder ob § 26 FamFG maßgeblich sei (Hinweis auf BGH NJW 2013, 3656 Rn. 25 mAnm Toussaint FD-ZVR 2013, 350858). Denn in jedem Fall habe der Tatrichter ausländisches Recht von Amts wegen zu ermitteln. Wie er sich diese Kenntnis verschaffe, liege in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Jedoch dürfe sich die Ermittlung des fremden Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern müsse auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbes. die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen. Ferner müsse der Tatrichter die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausschöpfen (Hinweis ua auf BGH NJW 2014, 1244 Rn. 15 mAnm Toussaint FD-ZVR 2014, 355519).

Hieran fehle es. Für die Grundbuchfähigkeit der B2 komme es darauf an, ob sie selbst Trägerin von Rechten an Grundstücken sein könne. Im Hinblick auf diese Rechtsfrage sei die Ermessenausübung des KG bereits deshalb rechtsfehlerhaft gewesen, weil es die ihm vorliegende Literatur zum ausländischen Recht unzureichend ausgewertet habe. In dem vom KG herangezogenen Werk werde zwar erläutert, dass das Eigentum an den Gegenständen des Gesellschaftsvermögens der [Personen-] Gesellschaft selbst zustehe. Andererseits heiße es dort aber auch, Gesellschaft und Gesellschafter würden in der italienischen Rechtsprechung häufig rechtlich gleichgestellt, und es ergebe sich kein einheitliches Bild. Angesichts dieser Ausführungen habe sich das KG für seine Rechtsauffassung nicht auf zwei Kommentare zur GBO stützen dürfen, in denen die Rechtsfähigkeit der società semplice – ohne weitere Begründung – verneint werde. Auch die Heranziehung der maßgeblichen Normen des Codice civile habe die Ermittlung der italienischen Rechtspraxis anhand von italienischer Rechtsprechung und Rechtsliteratur nicht entbehrlich gemacht – zumal die Gesetzesbestimmungen nicht eindeutig gegen die Grundbuchfähigkeit der società semplice sprächen.

Praxishinweis

Auf eine Verletzung von ausländischem Recht kann weder die Revision noch die Rechtsbeschwerde nach dem FamFG gestützt werden. Mit der Verfahrensrüge kann indes – wie im Fall – eine unzureichende oder fehlerhafte Ermittlung des ausländischen Rechts geltend gemacht werden (BGH NJW 2013, 3656 mAnm Toussaint FD-ZVR 2013, 350858). Durch das Rechtsbeschwerdegericht wird dabei lediglich überprüft, ob der Tatrichter sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt, insbesondere sich anbietende Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls hinreichend ausgeschöpft hat (BGH NJW 2014, 1244 Rn. 15 mAnm Toussaint FD-ZVR 2014, 355519; BGH NZI 2013, 763 Rn. 39 = FD-ZVR 2013, 347615 (Ls.); allgemein BeckOK ZPO/Elzer, 23. Ed. 1.12.2016, § 300 Rn. 73). Gibt die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber, dass der Tatrichter seiner Pflicht nachgekommen ist und sei Ermessen ausgeübt hat, ausländisches Recht zu ermitteln, ist davon auszugehen, dass eine ausreichende Erforschung verfahrensfehlerhaft unterblieben ist (BGH NZI 2013, 763 Rn. 39 = FD-ZVR 2013, 347615 (Ls.)).

In einer „Segelanweisung“ hat der BGH darauf hingewiesen, dass das KG nunmehr die fehlenden Feststellungen zum italienischen Recht nachzuholen und zu prüfen habe, ob die B2 nach italienischem Recht in eigener Rechtsträgerschaft Wohnungseigentum erwerben könne. Dazu dürfte die Einholung eines Rechtsgutachtens bzw. ein Auskunftsersuchen geboten sein. So – Einholung eines Rechtsgutachtens bzw. ein Auskunftsersuchen – wird es nicht nur in diesem Fall liegen. So dürfte es vielmehr im Grundsatz sein.

Redaktion beck-aktuell, 20. April 2017.